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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Frauen in der italienischen Verlagslandschaft: eine Bestandsaufnahme

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Podiumsgespräch anlässlich des Gastlandauftritts Italiens auf der Frankfurter Buchmesse 2024

Ein Beitrag von Veronika Licher

von links nach rechts: Katharina Schmidt, Silvia Meucci, Viktoria von Schirach, Loretta Santini, Barbara Neeb
© Foto: Veronika Licher

„Senza parole“ (von Zhang Jie) heißt der einzige italienische Buchtitel, der sich in meinem Bücherregal findet, „ohne Worte“ waren sie jedoch wahrlich nicht, die wortmächtigen Verlagsfrauen, die sich auf Einladung der BücherFrauen zusammenfanden, um ihrer Sicht auf die italienische Buchbranche Hörbarkeit zu verleihen: die Verlegerin Loretta Santini, Übersetzerin, Lektorin und Scout Viktoria von Schirach sowie Silvia Meucci, die ihre eigene literarische Agentur gegründet hat. Organisiert und moderiert sowie konsekutiv gedolmetscht wurde die Veranstaltung von dem bewährten Übersetzerinnen-Tandem Katharina Schmidt und Barbara Neeb.

Italien als Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse verfügt über ein immenses kulturelles Erbe und über eine literarische Vielfältigkeit, die bereits beim ersten Gastlandauftritt 1988 präsentiert werden konnte. Wie gestaltet sich nun aktuell die Lage angesichts der sich verändernden (kultur)politischen Situation? Wie sind die Bedingungen für Frauen, die in der Verlagsbranche arbeiten? „Die Buchbranche ist weiblich“ – Gilt das auch in Italien? Wie sieht es aus mit der Vergabe wichtiger Preise der Branche an Autorinnen? Und wie stehen die Teilnehmerinnen zum Motto der diesjährigen Präsentation ihres Landes?

Loretta Santini bestätigt, dass auch in Italien viele Frauen in der Buchbranche wirken. Sie hat 15 Jahre Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht und lange für kleine, unabhängige Verlage gearbeitet – unter anderem die edizioni e/o, die Elena Ferrante entdeckte. Als Verlegerin unter einem männlichen Chef hat sie sich dann doch lieber selbstständig gemacht und ihren eigenen Verlag gegründet: Elliot edizioni.

Viktoria von Schirach war bereits 1988 beim damaligen Gastlandauftritt Italiens dabei. Sie arbeitete als Lektorin in München – und wenn nicht in Deutschland die Bedingungen für Alleinerziehende so schlecht wären, wäre das vielleicht immer noch so. Sie ging dann nach Italien und arbeitet von Rom aus als Scout für einen großen Konzernverlag.

Silvia Meucci
© Foto: Veronika Licher

Silvia Meucci hat zunächst in Spanien gearbeitet und vielfältige berufliche Erfahrungen gesammelt, u. a. war sie sechzehn Jahre bei den Ediciones Siruela. Aus einer sehr maskulinen Arbeitsumgebung kommend, hatte sie einen anderen Einstieg in die Verlagsarbeit, wo die Basisarbeit tatsächlich im Wesentlichen von Frauen geleistet werde. In den höheren Positionen finden sich ihrer Beobachtung nach nur zwei, drei Frauen.

Katharina Schmidt wirft ein, in Deutschland habe sich in den letzten zehn Jahren einiges geändert, auch auf den oberen Ebenen gebe es inzwischen viele Frauen, nicht nur in den schlecht bezahlten Bereichen dieser zu 80 % weiblichen Branche.

Loretta Santini ist es wichtig zu betonen, dass es nicht nur Frauen sind, die die Verlage aufrechterhalten, sondern auch die Lesenden zum großen Teil weiblich sind! Man müsse allerdings auch thematisieren, dass Italien das Land in Europa sei, in dem am wenigsten gelesen werde.

Vierzig Prozent der Bücher Schreibenden seien ebenfalls weiblich. Im Sachbuchbereich werden jedoch nur wenige Bücher von Autorinnen veröffentlicht, was eventuell doch daran liegt, dass man Fachexpertise eher bei einem Mann vermutet.

Sie selbst sehe ihren Job als Privileg, nicht nur als „Arbeit“, sondern als einen Traum, den sie sich realisieren konnte. Sie müsse jedoch konstatieren, dass dies nicht in jeder Hinsicht der beste Ansatz sei – man möchte und müsse ja auch etwas verdienen. Tatsächlich habe sie insofern in ihrem Verlag die Verwaltungstätigkeiten an ihren Mann delegiert.

Auch ihre Erfahrung in Schreibwerkstätten, die hauptsächlich von Frauen besucht werden, bestätige, dass die Teilnehmerinnen dort zwar viel lernen über das Schreiben und Gestalten von Büchern, aber nicht, wie man damit Geld verdient. Es sei ein bisschen wie ein Kind zu bekommen – man müsse dann aber auch noch die Hausarbeit machen.

Viktoria von Schirach bestätigt, dass zwar in Deutschland tatsächlich immer mehr Frauen in Führungspositionen kämen, dies aber in Italien überhaupt nicht gelte. Lediglich in kleineren und mittleren Verlagen gebe es einzelne Frauen, die deshalb hier auch gern aufgeführt werden dürfen:

  • Elisabetta Sgarbi, La nave di Teseo
  • Isabella Ferretti, 66thand2nd
  • Paola Gallo, Einaudi
  • Laura Donnini, HarperCollins Italia
  • Daniela Di Sora, Voland
  • Emilia Lodigiani, Iperborea

In jedem Fall gelte: „ALLE Arbeit in Italien wird von Frauen ausgeübt, das ist wirklich Tatsache.“

Katharina Schmidt fragt, wie es um das Netzwerken unter Frauen stehe; besonders, wenn diese ihr eigenes Unternehmen hätten – in Deutschland sei dies für Frauen sehr relevant, die Männerbünde gebe es ja schon.

In Italien gibt es zwar wohl Kontakte innerhalb einzelner Berufsgruppen, aber keine wirklichen Frauennetzwerke. Silvia Meucci empfindet jedoch den Austausch unter Agentinnen als sehr unterstützend – es gebe ja auch einige sehr aggressive Agenten, insofern sei dies absolut notwendig.

Sie beobachtet im Übrigen, dass männliche Autoren im Allgemeinen in den Verlagen als höherqualifiziert eingestuft und beworben werden – das mache sie tatsächlich wütend.

Bei der Vergabe von Literaturpreisen, ergänzt Loretta Santini, wandele sich das Bild allmählich, es werde etwas ausgeglichener – das klingt durchaus bemerkenswert, wenn man weiß, dass bisher lediglich zwanzig Prozent der Preise an Frauen vergeben wurden.

Völlig unerwartet hat als absolute Außenseiterin auch eine von Loretta Santini verlegte Autorin einen Preis bekommen, und gleich den wichtigsten Buchpreis Italiens, den Premio Strega: Ada d’Adamo mit „Come d’aria“ (dt. „Brief an mein Kind“, übers. v. Karin Krieger, Eisele Verlag 2024).

Für Viktoria von Schirach sieht es so aus, als sei tatsächlich eine Wende eingetreten: Sie habe das Gefühl, dass mehr Frauen für die Preisvergaben nominiert würden.

Loretta Santini ergänzt, dass es auch ins Bewusstsein verankert werden müsse, die Titel selbstbewusst zu vertreten, wenn sie sie im Programm hätten.

Nach dieser hoffnungsvollen Aussicht noch ein Blick auf das Motto des diesjährigen Gastlandauftritts „Radici nel Futuro“ – „Verwurzelt in der Zukunft“. Bedeutet dies mehr Segen oder Fluch?

Viktoria von Schirach hat sich umgehört: Die Situation des italienischen Buchmarkts sei schwierig, es gebe viele Kürzungen, die Koppelung von öffentlichen Bibliotheken und unabhängigen kleineren Buchhandlungen, die bis zum letzten Jahr für regelmäßige Aufträge gesorgt hatte, wurde eingestellt – jetzt bestellen alle Büchereien über (staatliche) Großhändler. Unter der aktuellen Regierung werde wenig getan für die Branche, für Bibliotheken wie für Verlage und Buchhandlungen.

Es wäre schön gewesen, auf der Welle des Gastlandauftritts mitreiten zu können – mit der dort präsentierten „Zukunftsvision“ könne sie aber nichts anfangen. Die Chance sei leider nicht genutzt worden.

Silvia Meucci empfindet den Auftritt Italiens und das Motto als sehr kühl, sehr kalt; die Themen der Reden seien ohnehin immer die gleichen. Sie hätte sich gewünscht, darüber zu sprechen, wie wir „zusammen in die Zukunft“ gelangen können, in eine Zukunft, in der wieder herausragende kulturelle Arbeit wie früher von großen Verlegerpersönlichkeiten geleistet werden könne. Jetzt seien gerade die unabhängigen Verlage vorrangig mit dem Kampf ums Überleben beschäftigt.

Loretta Santini:  Dass Italien zum Ehrengast der Frankfurter Buchmesse gewählt wurde, habe sie zunächst mit Stolz erfüllt – dann allerdings habe sie der Realität ins Auge sehen müssen: keine Unterstützung für Kleinverlage – und keiner hätte gewagt, etwas zu sagen. Und was die Gestaltung des Gastland-Pavillons angehe: Wenn sie Fresken sehen wolle, würde sie nach Pompeji fahren, nicht nach Frankfurt. Das Geld wäre besser in der Unterstützung der italienischen Kultur angelegt gewesen.

Silvia Meucci ergänzt, sie hätte Gespräche mit deutschen Verlegern gehabt, die etwas ratlos waren angesichts der Tatsache, dass im Gastland-Pavillon lauter Namen präsentiert wurden, die sie schon kannten. Ruinen – ja, schön und gut, aber gebe es nichts Neues?

Vielleicht sei es aber ja deshalb auch symptomatisch für die Branche in Italien. Sie hätte sich junge, frische Stimmen gewünscht, mit der dem Italienischen eigenen brillantezza. Vielleicht muss diese aus den Ruinen wiederauferstehen?

In Anbetracht der Ausdrucksstärke und Wirkungskraft der vorgestellten Frauen habe ich keine Bedenken, dass diese Frauen weiter ihr Wort erheben und tatkräftig vorangehen werden. Und vielleicht webt sich bis zur nächsten Buchmesse ein italienisches Netzwerk der Frauen in der Verlagsbranche? In jedem Fall: Wir sehen uns in Frankfurt 2025, dann werden die philippinischen Verlagsfrauen zu Wort kommen.

Der Ausblick: Im nächsten Jahr werden die Philippinen Gastland der Frankfurter Buchmesse sein – und eine Veranstaltung über Frauen in der Verlagsbranche in Indonesien und den Philippinen vermittelte schon in diesem Jahr einen Ausblick auf beeindruckende Frauen, die da zu uns kommen werden!

Die Danksagung: Der Frankfurter Buchmesse ein großes Dankeschön, dass sie diesen Gastlandauftritt ermöglicht hat, und der Kurt-Wolff-Stiftung fürs Zur-Verfügung-Stellen des Raumes. Und natürlich besonders herzlichen Dank den beiden Organisatorinnen, die für die BücherFrauen durchs Programm geführt haben!

Links zu den Organisatorinnen:

Katharina Schmidt und Barbara Neeb arbeiten seit 15 Jahren im Übersetzerinnen-Tandem zusammen:
https://www.italienisch-uebersetzung.de/

Katharina Schmidt schreibt (zusammen mit Barbara Engelmann) das Blog der Digitalen Weltlesebühne: https://blog.weltlesebuehne.de/

Barbara Neeb betreut den Youtube-Kanal:
https://www.youtube.com/c/Weltlesebuehne

Links zu den italienischen Verlagsfrauen:

https://www.edizionieo.it/chi-siamo

https://www.elliotedizioni.com/

https://www.meucciagency.com

Veronika Licher, Dipl.-Inform., begleitet seit vielen Jahren schreibend die internationale Buchbranche, lektoriert u. a. Übersetzungen und ist in vielfältiger Weise beteiligt an Buchproduktionen zum Beispiel im Bereich Psychotherapie und Coaching. 2009 organisierte sie für die BücherFrauen das Podiumsgespräch mit chinesischen Verlegerinnen anlässlich des Gastlandauftritts der VR China. Sie nahm 2010 am Workshop „Zur Seite gesprungen“ mit Übersetzerinnen und Lektorinnen im lcb teil und intensivierte ihre Kenntnisse über die koreanische Buchbranche auf der Buchmesse in Seoul 2016. Im „Handbuch Übersetzen“ interviewt sie Seminarleiterin Sabine Baumann zu ihren Erfahrungen mit dem Übersetzen und Lektorieren im Tandem.

Weiterführende Links:

https://www.lektoren.de/profil/dipl-inform-veronika-licher

https://www.linkedin.com/in/veronika-licher

Angesichts der Nobelpreisverleihung an Han Kang lohnt sich das Wiederlesen eines Berichtes über den koreanischen Buchmarkt: https://www.boersenblatt.net/archiv/1171343.html

 

 

 

Autor: Veronika Licher

Veronika Licher, Dipl.-Inform., arbeitet in vielfältiger Weise mit Menschen und mit Büchern, liebt nahe und ferne Länder und bringt als Redakteurin, Lektorin und Coach gerne das eine mit dem anderen zusammen. Sie begleitet neben deutsch-chinesischen Projekten und Übersetzungslektoraten Buchproduktionen zum Beispiel im Bereich Psychotherapie. Als Coach ist es unter anderem ihr Anliegen, Menschen mit vielfältigen Begabungen Orientierung zu geben und ihnen zu helfen, interdisziplinär und kreativ ihre essenziellen Träume zu realisieren.

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