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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Cover Codex Roboticus

Geheimnisvolles Bookup. Zu Gast bei Das Wilde Dutzend

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Dear Ladies and Gentlemen. Heute entführe ich euch in die fabelhafte Welt der Bookups, Stories und Mysterien. Drei Handvoll erlauchter Bewunderer trafen sich letzte Woche zu einem denkwürdigen Erlebnis in den kruschelig-gemütlichen Räumen des Verlags Das wilde Dutzend. Mir fällt das Vergnügen zu, euch einen Blick durchs Schlüsselloch zu verschaffen. Kneift einfach ein Auge zu, zoomt euch heran … Und los geht’s.

Themenecke "Märchenbuch"

Verwunschene Themenecke “Märchenbuch”

Once upon a time … genauer gesagt, im Sommer dieses Jahres, hatte Stefanie Leo, Mutter der Bücherkinder, eine „ansteckende Idee“. Sie wurde in Windeseile schon mehrfach umgesetzt, gewann auf den Social Media-Kanälen sofort zahlreiche Fans und landete prompt auf der Shortlist des Virenschleuderpreises. Zuvor existierten bereits die sogenannten Tweetups – Kulturevents, etwa Ausstellungen, über die Social Media-affine KulturliebhaberInnen im Voraus und vor allem in Echtzeit twitterten oder im Nachhinein bloggten. Stefanie initiierte mit dem #BookupDE die Übertragung des Formats auf kulturelle Veranstaltungen in Buchhandlungen, Verlagen und Bibliotheken.

Das Wilde Dutzend

Nun zum Close-up: „Der Legende nach deckt die Geheimloge Das wilde Dutzend bereits seit Jahrhunderten Mysterien und Geheimnisse der Literatur- und Kulturgeschichte auf und bringt nie geahnte Wahrheiten ans Licht. Zunächst handschriftlich, später in Kleinstauflagen veröffentlichte die im Verborgenen agierende Gesellschaft Bücher und Traktate und entschloss sich im Jahre 2010 einer interessierten, aufgeschlossenen und scharfsinnigen Leserschaft Rechnung zu tragen: Sie gründete einen eigenen Logenverlag und machte sich auf die Suche nach den passenden offiziellen Vertretern.“ So heißt es auf der Homepage. Zwei wunderbar kreative Frauen, Dorothea Martin und Simone Veenstra, sind die „Fabrikantinnen“ dieses ganz besonderen Verlags, in dem besondere Bücher erscheinen. Nämlich buchkünstlerisch illustrierte, mit bedrucktem Vorsatzpapier und aufwändigem Cover ausgestattete, fadengeheftete, betörende Bände. Codex Roboticus (unbedingt die Website anschauen!), wie auch die früheren Bücher, wurden in Deutschland gedruckt und in den Credits sind sympathischerweise die „im Untergrund“ werkelnden ÜbersetzerInnen und KorrektorInnen benannt.

Werbematerial zum Buch Codex Roboticus

Verlagsvorschau und Werbematerial zum Codex Roboticus.

Was ich außerdem noch von keinem anderen Verlag so kenne: Die zwei Damen vom Wilden Dutzend sind Expertinnen des Transmedia-Storytelling. Ihre publizierten Geschichten gehen immer über das Buch hinaus. Es gab und gibt Twitteraktionen, Bloggerkampagnen, ein Märchenfestival, Rollenspiele, Kreativlabore mit Kindern, außergewöhnliche Book-Releases, YouTube-Videos, in denen man hinter die Kulissen schauen und den Entstehungsprozess der Bücher verfolgen kann, Buchtrailer, Social Reading-Aktionen und dergleichen mehr. Wow! KundInnen und BuchhändlerInnen werden mit Vorzugsausgaben sowie schön gestaltetem Werbematerial (Buttons, Lesezeichen, Aufkleber, Kunstpostkarten) verwöhnt. Die perfekt komponierte aktuelle Verlagsvorschau hat Jens Maria Weber gestaltet.

Der Codex Roboticus und Wer kann für böse Träume

Im Mittelpunkt des Bookup stand die Preview des geheimnisumwobenen Codex Roboticus von ebendiesem Jens Maria Weber. Zuvor las die großartige Christiane Neudecker ihre buchtitelgebende Geschichte aus einer früher erschienenen konzeptionellen Textsammlung des Verlags: „Wer kann für böse Träume“. Ein „märchenhaftes“ Buch, aus einem sagenumwobenen Verlag: Sie habe ihren Verlagsvertrag mit Blut unterschrieben und in ihrem Briefkasten lägen geheimnisvolle Botschaften, seit sie mit dem Verlag kooperiere, meinte Christiane, die einst Theaterregie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ studierte. Alles nur Theater? Daran kommen Zweifel auf, als Jens Maria Weber erzählt, ein gewisser Prof. Dr. Hans-Martin Nommsen, der die Einleitung zu seinem Werk geschrieben hat, habe eigentlich zum Bookup erscheinen wollen, sei aber unter mysteriösen Umständen abgehalten worden. Das sei jedoch abzusehen gewesen, dieser Nommsen sei ein schwer zu greifender Zeitgenosse, „immer im Transit“. Vielleicht sei er am Flughafen steckengeblieben, der Schmuggelei verdächtigt oder so. Man wisse es nicht. Der Verlag scheint aus Geheimnissen gestrickt, aus Geschichten gewoben.

Jens Maria Weber und Christiane Neudecker

Jens Maria Weber und Christiane Neudecker

Der geheimnisvolle Zauber wurde dann immer mal wieder – quasi als Element der plötzlich einbrechenden Wirklichkeit ins Fantastische – vom allseits bekannten und heiß geliebten Verlagshund Paule unterbrochen. Dessen verpflasterte Pfote (Glasscherbe) hinderte ihn nicht daran, im Kreis zu wuseln, komplett jeden Besucher der Reihe nach zu begrüßen und äußerst temperamentvoll abzuschlecken.

Jens Maria Weber zog uns jedoch den ganzen Abend über immer wieder in seinen Bann. Dieser scheinbar allwissende Autor und Künstler gab mir im Gespräch nach der Präsentation ein Update über das Ruhrgebiet und die Ruhruniversität, in dem/ der wir, wie sich herausstellte, beide aufgewachsen waren bzw. studiert hatten. Er wohnt übrigens heute noch in Duisburg. Wir überlegten so nebenbei, wie wir im „Ruhrpott“ angestoßen hätten. „Hoch die Tassen“! Er schien sich noch mit vielen weiteren Dingen auszukennen. Christiane Neudecker und Jens matchten etwa in einer gemeinsamen Vorliebe für Georg Kreisler, was ein lebhaftes Gespräch über den Chansonier und Gelsenkirchen entfachte. Wer hätte das gedacht.

Kunst an der Wäscheleine

Doch zurück zu den (Picture-)Stories: Faszinierend wusste der Autor von der Entstehung seines Buchkunstwerks zu erzählen. Er „zäumte“ das Ganze „von der Wäscheleine her auf“. Dabei bezog er sich auf minutiöse, teilweise kolorierte, Zeichnungen, die an einer quer durchs Zimmer verlaufenden Schnur mit Wäscheklammern befestigt waren. Seine Vorüberlegungen und „Notizen“ zum Projekt seien halt nicht schriftlich, sondern „visueller Natur“. Es handele sich dabei, wie zu sehen sei, nicht um riesige „Tapetenbögen, worauf er seinen Namen tanze“, sondern wir sahen konkrete und filigrane Ideen und Studien als Grundlage für das von ihm geschaffene, illustrierte Buch. Der Verlagsraum war im Übrigen mit Jens Maria Webers perfekt konstruierten 3D-Papp-Modellen der „Menschmaschinen“ aus Codex Roboticus ausstaffiert.

Wäscheleine mit Zeichnungen

Jens Maria Webers “visuelle Notizen” zum Codex Roboticus

Zu den miteinander korrespondierenden Texten (zweisprachig – auf deutsch und englisch!) und Zeichnungen bildet ihr euch am besten selbst eine Meinung. So viel sei verraten: Wir haben es mit einem Geheimprojekt aus den 20er Jahren zu tun. Aus dem Nachlass eines Dr. Schwenck, einem Konglomerat aus Fotos, Dokumenten und Illustrationen, erfahren wir RezipientInnen von schon erwähnten Menschmaschinen … Ein Buch, das unter anderem in Zusammenhang mit der jüdischen Kabbala und dem persischen Mystizismus, der Engelsgeschichte und dem sich durch die Literaturgeschichte ziehenden Golem-Motiv „konsumiert“ werden kann. Später beim Wein schöpft  Jens wieder aus seinem scheinbar endlosen lexikalischen Wissen und erzählt mir detailiert über Gustav Meyrink und dessen Golem-Geschichte, die ihn unter anderem inspiriert haben dürfte. Ein Buch mit komplexem Thema, in das ich mich demnächst vertiefen werde.

Der Abend ging, ich hatte es erwähnt, in ein relaxtes Miteinander bei Wein, Bier und Fingerfood über. Themenecken luden zum Stöbern ein. Mein drittes Bookup hat mich wieder überwältigt, wie schon die vorangegangenen Events bei Ocelot (Blogbeitrag) und der Kinderbuchhandlung Buchsegler (Blogbeitrag). Das Bookup in der Buchhandlung Anakoluth (Blogbeitrag) hab ich leider verpasst, aber auch von dort erreichten mich begeisterte Berichte. Ihr solltet bei nächster Gelegenheit unbedingt dabei sein – twittern, bloggen, schauen, staunen, euch vorlesen lassen, fotografieren, andere Bibliophile kennenlernen, Bücher kaufen, schwelgen. Und was die nächste Nacht betrifft: Träumt gut.

 

Autor: Katja Marczinske

Katja Marczinske studierte Komparatistik, Germanistik und Theaterwissenschaft. Nach Stationen im Buchhandel und Lektorat war sie zuletzt bei Suhrkamp und Elsengold für Vertrieb und Marketing zuständig. Zurzeit macht sie eine Fortbildung Im Bereich Online-Marketing. Im Presse-Team der Berliner BücherFrauen ist sie die Social Media Expertin.

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