Fast unbemerkt von der breiten europäischen Öffentlichkeit gab es bei den Wahlen zum EU-Parlament eine Weltpremiere: Zum ersten Mal ist eine Partei in ein Parlament gewählt worden, die sich ganz den feministischen Themen verschrieben hat. So erklärt es Gudrun Schyman, Vorsitzende der schwedischen Feministischen Initiative (FI), die nun mit einem Sitz im EU-Parlament vertreten ist:
„Ich glaube, dass wir die ganze Welt inspirieren können. Die Fragen, die wir stellen – Gleichberechtigung und Respekt für die Menschenrechte – spielen in allen Ländern eine Rolle. Ich glaube, dass sich sehr viele Feministen durch unseren Erfolg gestärkt fühlen.“ (Svenska Dagbladet Online, 26.5.14)
Seit Jahresbeginn hat die 2005 gegründete Feministische Initiative einen überwältigenden Zuspruch erhalten: Innerhalb von fünf Monaten hat sich ihre Mitgliederzahl verdreifacht, gleichzeitig ist die Präsenz in den Medien, vor allem den sozialen, überproportional angestiegen. Beständig haben sich auch ihre Prognosen zur EU-Wahl verbessert, bis hin zu den 5,3 Prozent der schwedischen Bürger, die an den Wahlurnen schließlich für FI gestimmt haben.
„Raus mit den Rassisten, rein mit den Feministen“
„Raus mit den Rassisten, rein mit den Feministen“ wurde in den letzten Wochen zwischen Ystad und Kiruna großflächig auf rosa Grund gerufen. FI hat ausdrücklich einen anti-rassistischen und anti-fremdenfeindlichen Wahlkampf geführt und damit ein allgemeines Unbehagen in der schwedischen Gesellschaft aufgenommen und thematisiert, auf das die etablierten Parteien bisher keine Antworten gefunden haben. Die Gleichsetzung von feministisch gleich anti-rassistisch umschließt die wichtigsten Wahlkampfthemen: Frauenquoten, Gleichberechtigung für Homosexuelle und besserer Schutz für ethnische Minderheiten. FI hat sich damit ausdrücklich als Gegenpol zu den rechtspopulistischen Schwedendemokraten positioniert, die bei den letzten nationalen Wahlen 2010 die Hürde in den schwedischen Riksdag nehmen konnte und seitdem durch klar ausländerfeindliche und nationalistische Attacken aufgefallen ist. Hinzu kamen in den letzten Monaten zunehmend fremdenfeindliche Gewalttaten und handgreifliche Auseinandersetzungen mit rechten Gruppen in verschiedenen Städten des Landes. Insgesamt kann man wohl sagen, dass die Stimmung in Schweden aufgeheizt ist – auch mit Hinblick auf die anstehenden nationalen Wahlen im September. Die Wahlen zum EU-Parlament waren quasi eine Generalprobe, die für die etablierten Parteien mächtig in die Hose gegangen ist. Die Wähler scheinen ihnen kaum zuzutrauen, Mittel gegen die wachsenden Spannungen in der Gesellschaft zu finden. Denn auch die Schwedendemokraten gehören zu den Gewinnern der EU-Wahlen, während die Parteien der bürgerlichen Regierungskoalition kräftig abgestraft wurden.
FI hat nach langen Jahren der Bedeutungslosigkeit Mittel und Wege gefunden, die Sorgen vieler Schweden glaubwürdig anzusprechen. Trotz der äußerst populären Parteichefin Gudrun Schyman und wiederholter hoher Spenden von Prominenten wie ABBA-Star Benny Andersson konnte FI bisher nur wenige und kleine Erfolge bei kommunalen Wahlen erzielen. Gudrun Schyman war auch in diesem Wahlkampf das Zugpferd, aber sie alleine hätte die Wende nicht bewirken können. Neben der klaren anti-rassistischen Ausrichtung waren auch der massive Einsatz aller gängigen Social Media-Kanäle und Homepartys ein besonderes Merkmal des FI-Wahlkampfes.
Messungen des Social-Media-Monitoringunternehmens Lissly zeigen, dass FI eine besonders hohe Präsenz im Netz hat. Nach den Sozialdemokraten (SAP) hat es FI am besten geschafft, die sozialen Medien für sich zu nutzen und konnte in den letzten Wochen die SAP bei Nennungen in den sozialen Medien sogar überholen. FI hat diese Mobilisierungskanäle geschickt genutzt und mit peppigen, rosa gefärbten Bildern und klaren Botschaften bespielt, auf die auch die konventionellen Medien schnell angesprungen sind. Dennoch ist der mediale Erfolg kein Selbstläufer – es braucht auch einen inhaltlichen Grund – die feministische und antirassistische Mobilisierung – und eine gute Basisarbeit, um die Netzpräsenz schließlich auch in Wählerstimmen zu verwandeln.
Social Media und Homeparty
Als eine besonders erfolgreiche Wahlkampfidee haben sich die sogenannten Homepartys erwiesen. Ähnlich wie bei einer Tupperparty laden Privatpersonen FI-Mitglieder ein, um mit ihnen über Politik und die Wahlen zu reden; einzige Bedingung ist, dass mindestens 15 Personen an der Homeparty teilnehmen. Landesweit sind so FI-Mitglieder in private Wohnung und Lokale eingeladen worden und konnten im direkten Kontakt und angenehmer Atmosphäre jenseits des eingetrockneten Parteiflairs der großen Parteien für ihre Politik werben.
Auf schwedischen Social Media-Seiten und in kurzfristig einberufenen Wahlpartys überall im Land wird nun seit gestern Abend der „feministische Durchbruch“ beschworen und gefeiert. Doch ob der Blick darauf nicht durch allzu rosa gefärbte Brillen fällt, wird sich erst im September bei den Wahlen zum nationalen Parlament Schwedens zeigen. Bis dahin heißt es: „Wählt rosa!“
Beitragsbild: Neue politische Farben in Schweden. Foto: I. Friedrich/Pixelio.
20. Juni 2014 um 11:31
Danke für diesen wunderbaren Beitrag, der neben der Bewusstmachung einer guten Bewegung eine kleine Kampagnenschulung beinhaltet 😉
Herzliche Grüße
Evelyn