Die Kandidatur von Karin Schmidt-Friderichs ist spannend. Immerhin wäre sie erst die zweite Frau innerhalb der 194-jährigen Geschichte des Börsenvereins, die die Branche als Vorsteherin repräsentieren würde. Eine bemerkenswerte Zahl angesichts der Tatsache, dass die Branche zu 80 Prozent weiblich ist, was sich allerdings in der Besetzung der Führungspositionen nicht widerspiegelt. In diesem Punkt unterscheidet sich die Buchbranche bedauerlicherweise also nicht von anderen. Auch die aktuelle Studie „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ weist auf gravierende Unterschiede zu Männern in Medien und im Literaturbetrieb hin. Interessant wird dabei auch, dass diese erstaunliche Zahl mitten in die aktuelle große gesellschaftliche Debatte über Gendergerechtigkeit platzt, sodass diesem Thema heute eine ganz andere öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird.
Eine besondere Wahl
Das Thema ist also virulent, und deshalb könnte die Vorsteher*innenwahl eine ganz Besondere werden; sie scheint in der Branche bereits viel präsenter zu sein, als es früher der Fall war, was dem ganzen Prozess und der Wahlbeteiligung nur guttun kann. Man muss keine Feministin sein (aber als Feministin erst recht!), um es selbstverständlich zu finden, dass es allerhöchste Zeit für eine Frau an der Spitze des Börsenvereins ist. Die Chance, dass dies nun mit Karin Schmidt-Friderichs Realität wird, könnte man schon fast historisch nennen, auch wenn dieser Begriff reichlich strapaziert ist.
Aber schauen wir uns neben dem strukturellen Aspekt an, wofür sie inhaltlich steht: Sie ist erfolgreiche Verlegerin eines unabhängigen, kleinen, „zielgruppennahen“ Verlags, wie sie selbst ausführt, der sich voll und ganz der Kunst, schöne und besondere Bücher zu verlegen, verschrieben hat. Der Verlag Hermann Schmidt zeigt in einer Situation, in der viel zu häufig über die Zukunft des gedruckten Buchs geunkt wird, dass es ein großes, wenn nicht sogar wachsendes Bedürfnis nach dem sinnlich erfahrbaren Buch gibt und nicht lediglich nach Content. Insofern gibt der Verlag mit seinem Programm ein ermutigendes Beispiel, welch immens hohe Bedeutung die analogen Anker in einer digitalen Welt für die Menschen darstellen.
Mut, Kreativität, Innovationskraft
Das tatsächlich auszutesten, dazu gehört eine ordentliche Portion Mut, Kreativität, Innovationskraft, vielleicht würde Karin Schmidt-Friderichs auch noch den Begriff „Wahnsinn“ erwähnen. Entscheidend ist: Was sie da macht, funktioniert.
Nicht nur den Buchhandel dürfte besonders freuen, dass sie uneingeschränkt ans Buch glaubt und dem unabhängigen Buchhandel einen unverzichtbaren, hohen Stellenwert beimisst. Aus ihren Äußerungen kann man unschwer ablesen, dass sie die Interessenskonflikte weniger in den unterschiedlichen Sparten wie Verlag und Buchhandel sieht, sondern eher zwischen „klein“ und „groß“. Sie problematisiert den Konzentrationsprozess und misst der Zusammenarbeit von unabhängigen Verlagen und dem unabhängigen Buchhandel für die Zukunft hohe Bedeutung bei, da ihre Interessen ähnlich gelagert sind.
Diese Haltung lebt und vermittelt sie auch praktisch, etwa durch ihre inzwischen legendären Verlagspräsentationen, mit denen sie die Buchhandlungen, aber auch z. B. Auszubildende am mediacampus mit ihrer Lust an schönen Büchern infiziert. Viele Jahre schon engagiert sie sich ehrenamtlich, kennt die Branche aus unterschiedlichen Perspektiven, Funktionen und aus nicht unheiklen Veränderungsprozessen, die sie begleitet hat. Nachzuhören ist das alles in ihrem Gespräch mit der BücherFrauen-Vorsitzenden Jana Stahl.
Zukunftsthema Zusammenhalt in der Buchbranche
Die Einzigartigkeit des 3-Spartenverbandes und der Zusammenhalt der Buchbranche ist eines der großen Zukunftsthemen. Häufig als große Stärke beschworen könnte es auch zu einer Schwäche werden, wenn die existierenden Widersprüche und Auswirkungen des Konzentrationsprozesses, die zu Lasten vieler „Kleiner“ gehen, mit dem Wunsch nach Harmonie zugedeckt werden. Bereichernd und visionär wäre hier sowohl Mut, solche Themen anzusprechen, als auch die Fähigkeit, Lösungsstrategien zu entwickeln. Eine gewaltige Herausforderung, vor der die neue Vorsteher*in stehen wird.
Karin Schmidt-Friderichs hat in einer zentralen Frage im letzten Jahr bereits Mut und klare Kante bewiesen, als sie im Börsenblatt von „Konditionenterror“ sprach und der Forderung nach Werbekostenzuschüssen öffentlich eine Absage erteilt hat.
Im unabhängigen Buchhandel wird mindestens partiell mit Interesse verfolgt, in welcher beruflichen Position bzw. Konstellation sich die Kandidatin/der Kandidat aktuell befindet und welche grundsätzliche Interessenlage sich daraus ableiten lässt. Davon hängt entscheidend ab, inwieweit man sich in der Branche vertreten und unterstützt fühlt. Dieser strukturelle Aspekt ist weitgehend personenunabhängig, sollte in seiner Bedeutung für die Mitglieder aber nicht unterschätzt werden. Eine Person, die beruflich einem großen, auf Expansion bedachten Player der Branche verpflichtet ist, wird in der Branche eben doch anders wahrgenommen als eine unabhängige Verlegerin, die für die Vielfalt der Buchbranche steht.
16. Mai 2019 um 11:01
Toll geschrieben und mitten ins Schwarze getroffen, liebe Christiane!
16. Mai 2019 um 23:16
Freue mich über diesen Blogbeitrag – wie doch die Kandidatur einer möglichen Vorsteherin auch die Vielfalt von BücherFrauen sichtbar werden lässt. Leider hab ich keine Stimme- sonst wählte ich sehr sicher KSF.
21. Mai 2019 um 15:05
Sehr guter Artikel, danke dafür! Die Vernetzung der unabhängigen Verlage mit den unabhängigen Buchhandlungen ist meiner Ansicht nach DAS Schlüsselkonzept für die Zukunft. Hier in Lübeck findet einmal jährlich eine kleine Messe nur mit kleinen, unabhängigen Verlagen statt, die einen enormen Zulauf hat und einen messbaren Nachklang für mich als kleine Buchhandlung. Ich unterstütze die Messe aktiv, das schätzen die an dieser Messe Interessierten und das hilft am Ende den Verlagen und auch mir.
Und natürlich bekommt meine Stimme eine Frau, vor allem diese Frau von diesem sehr tollen Verlag! Ich bin dankbar, dass Karin Schmidt-Friederichs sich überhaupt bereit erklärt, dieses Amt zu übernehmen, das ist ja nicht ohne.