Im Januar 2016 veröffentlichte die Weltbank ihren jährlichen „World Developement Report“. Darin geht es um die Auswirkungen der Digitalisierung weltweit. Bei Spiegel online las ich damals eine Zusammenfassung von Angela Gruber und Christian Stöcker, die zu dem Schluss kommen, dass von den digitalen Möglichkeiten vor allem die westliche Welt profitiert. In einem Abschnitt heißt es: „An mehreren Stellen geht der Bericht außerdem auf die Situation von Frauen ein.“ Das hat mich neugierig gemacht auf den 359-seitigen Report und zum Weltfrauentag habe ich die aus meiner Sicht nennenswerten Aspekte zusammengetragen.
Beim reinen Überfliegen des Berichts halten sich die Nennungen von Vor- und Nachteilen für Frauen die Waage. Es fällt aber sofort auf, dass die Situation von Frauen oft zusammen mit der von behinderten, armen und Menschen aus ländlichen Regionen beschrieben wird („women, rural and poorer population“). Dem gegenüber stehen männlich, gesund, reich und städtisch – positive Rahmenbedingungen für Menschen, die auch rund um die Digitalisierung mehr profitieren.
Der Bericht nennt aber an vielen Stellen Vorteile, die für Frauen durch die technischen Möglichkeiten entstehen:
- Die neuen Technologien würden Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. (S. xiii)
- Das Abwickeln von Finanzgeschäften online erhöhe den Anteil von Frauen an wirtschaftlichen Aktivitäten und Investitionen. (S. 96)
- Frauen, denen es vorher nicht möglich gewesen sei, außer Haus zu arbeiten, könnten dies nun von zu Hause aus in Telearbeit oder via Online-Geschäft tun. (S. 100) So gäbe es in China bei 4 von 10 Online-Shops Frauen als Inhaberinnen – 19 % von ihnen wären zuvor arbeitslos gewesen. (S. 109)
- Vom Zugang zu Handys und Mobilfunknetzen profitierten insbesondere Frauen. So hätte die Netzabdeckung in den ländlichen Gebieten Südafrikas die Beschäftigung von Frauen erhöht – allerdings nur bei denen ohne familiäre Verpflichtungen. (S. 105)
- Der Arbeitsmarkt im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik sei zwar gut bezahlt, aber weiterhin klein, mit hohen Einstiegshürden und Männer-dominiert. (S. 106)
Frauen fänden aber auch vermehrt Jobs in der outgesourcten IT-Industrie. (S. 107) - Auch die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt, ermögliche Frauen, ihre (Büro-)Jobs zu flexiblen Zeiten ortsungebunden auszuführen. (S. 114)
Eine gesonderte Infobox mit dem Titel „Digital technologies and economic opportunities: Gender lens“ widmet sich nochmal besonders den Aspekten für Frauen (S. 134):
- Es wird betont, dass die digitalen Technologien vor allem Frauen wirtschaftlich und sozial stärken würden, da diese generell mehr eingeschränkt seien durch soziale Normen und Zwänge als Männer.
- Neu angefragte Fertigkeiten böten immer auch die Chance für eine Reduzierung des Gehaltsgefälles, insbesondere für höher gebildete Menschen.
- Die Verlagerung der Arbeit von körperlichen zu „virtuellen“ Tätigkeiten sei generell positiv für Frauen.
- Der Zugang zu Informationen könne Gender-Regeln beeinflussen.
- Die Social Media-Kanäle böten Frauen die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern und sich damit Präsenz zu verschaffen.
Aber es werden auch einige Unterschiede und Nachteile für Frauen (“Gender lens”, S. 134) aufgelistet:
- Über 1,7 Milliarden Frauen in Mittel- und Niedriglohnländern besäßen kein Handy.
- In vielen Ländern sei es Frauen nicht möglich, das Internet zu nutzen, besonders starke Unterschiede gäbe es in Afrika.
- In einigen Ländern (z.B. Ägypten und Indien) hätten 12 Prozent der Frauen angegeben, das Internet nicht zu nutzen, weil sie es nicht für angemessen hielten, mehr als 8 Prozent wegen Bedenken aus dem Familien- und Freundeskreis.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass laut Bericht die Digitalisierung Frauen einen besseren Zugang zu finanziellen Mitteln und zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Jedoch erwecken die Beispiele den Eindruck, dass eine neue Technik es einer benachteiligten Gruppe in der Bevölkerung ermöglicht, nicht etwa gleichzuziehen mit anderen, bisher im Vorteil stehenden Bevölkerungsgruppen. Die Gruppe steht nur nicht mehr ganz so schlecht da. So sagt der Bericht auch, dass, „wenn es immer noch nicht akzeptiert ist, dass Frauen außer Haus arbeiten oder es keine anderen (erschwinglichen) Möglichkeiten der Kinderbetreuung gibt, (neue) Technik auch grundlegende Reformen verzögern kann.“ (S. 134)
Und während die Digitalisierung für mich persönlich die Möglichkeit bietet, Familie, Freizeit und Beruf besser zusammen verwirklichen zu können, geht es bei Frauen in weniger wohlhabenden Ländern darum, überhaupt einen Job oder Zugang zu Informationen zu erhalten. So trifft Frauen also dieselbe Ungleichheit bei der Verteilung der Chancen durch die Digitalisierung wie die aller Menschen außerhalb der westlichen Welt.
Zwei Aussagen stimmen mit Blick auf die Chancen von Frauen jedoch positiv: Zuletzt habe eine Studie in den USA herausgefunden, dass u.a. Frauen die Anpassung an die sich immer schneller verändernden Arbeitsbedingungen besser gelänge. (S. 132) Und die „Gender lens“ schließt mit dem Hinweis, dass die positiven Effekte neuer Technologien für Frauen höher seien, wenn Frauen früh in deren Entwicklung und Einführung eingebunden wären bzw. sich einbrächten. (S. 134)
In diesem Sinne: Get the skills and involve yourself in new technologies 🙂
8. März 2016 um 17:57
Liebe Anne
großes Dankeschön für diese erhellende Zusammenfassung, die im Ergebnis zeigt: schlechte Ergebnisse, dennoch gute Aussichten 😉
Herzliche Grüße
Evy
9. März 2016 um 14:25
Sehr interessant – besten Dank, dass du die wesentlichen Aspekte zur Situation der Frauen herausgearbeitet hast.
Allerdings sind es wohl 1,7 Milliarden Frauen in Mittel- und Niedriglohnländern, die kein Handy besitzen (nicht 1,7 Billionen), die gesamte Weltbevölkerung beläuft sich ja “nur” auf etwas unter 7,5 Milliarden Menschen.
9. März 2016 um 15:03
Ich lernte erst kürzlich, dass das englische „billion“ nicht dem deutschen Wort „Billion”“ entspricht, sondern eine Milliarde ist.
Die Benachteiligung ist für mich eh so unfassbar umfassend, dass die paar Milliarden gar nicht ins Gewicht fallen, meine ich mal ganz flapsig.
Trotzdem, der Hinweis ist richtig und wegen der Öffentlichkeit wichtig.
9. März 2016 um 15:22
Liebe Evelyn, liebe Manuela,
vielen Dank für Euer Feedback und Eure Hinweise. Da bin ich tatsächlich einem “false friend” aufgesessen. Ich hab’s korrigiert.