Die überall in der medialen Welt geführten Diskussionen über die Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung werden unter dem Schlagwort bzw. Hashtag #Arbeit4.0 geführt. Die Menschen fragen sich, welche Gefahren hinter dem Prozess der Digitalisierung lauern? Wer profitiert? Wer verliert seine Arbeitsplätze? Auf welche Anforderungen und Bedingungen von Arbeit werden wir uns in den nächsten Jahren einstellen müssen? Selbst das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat sich des Themas angenommen und einen umfassenden und gut dokumentierten Dialogprozess über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft eröffnet, um über die sozialen Bedingungen und voraussichtlichen Strukturen der zukünftigen Arbeitsprozesse nachzudenken. Auf der diesjährigen re:publica gab es zahlreiche Sessions zum Thema und auch die Bertelsmann Stiftung hat sechs Szenarien für Deutschlands Arbeitsmarkt entworfen – um nur einige zu nennen.
Interessanterweise wird bei all den Überlegungen nicht oder kaum über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gendergerechtigkeit am Arbeitsplatz nachgedacht, obwohl all die Fragen zu Unternehmenskultur, Arbeitszeiten, Flexibilisierung, Abbau von Hierarchien, die wir schon lange als entscheidend für eine größere Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern identifiziert haben, auch im Zentrum der Diskussionen um Arbeit 4.0 stehen. Dankenswerterweise stand dieser blinde Fleck – Blind Spot – nun im Mittelpunkt der 3. Gender Studies Tagung von Friedrich-Ebert-Stiftung und Deutschem Institut für Wirtschaft.
Der blinde Fleck
Bei der Einschätzungen von Gefahren und Chancen durch die Digitalisierung für Frauen hielten sich die Beiträge die Waage. Die Digitalisierung wird Arbeitsplätze vernichten, vor allem solche mit einfachen, reproduzierbaren Aufgaben, die schneller und effizienter durch technische Vorgänge erledigt werden können. Dies wird mit hoher Wahrscheinlichkeit viele klassische Frauenberufe treffen – Sekretärin, Verkäuferin aber auch Putzfrauen und sogar Pflegekräfte, deren Arbeit zunehmend von Computern und Robotern erledigt oder unterstützt werden wird. Zwar lässt sich derzeit über das wirkliche Ausmaß der Auswirkungen nur spekulieren, aber die Annahme, dass sich viele Frauenberufe durch die Digitalisierung stark verändern werden, wurde auf der Tagung vielfach unterstützt. Allerdings scheint es sinnvoll zu sein, nicht allein auf die Auswirkungen für einzelne Berufsgruppen zu blicken, sondern etwas genauer zu schauen, wie sich einzelne Tätigkeiten in Berufsfeldern verändern und sich zu neuen Berufen zusammenfügen. Berechnungen der OECD deuten mit dieser Herangehensweise auf ein wesentlich geringeres Risiko für Frauenarbeitsplätze.
Andere Studien zeigen wiederum, dass vor allem Männer von der Flexibilisierung der Arbeit profitieren: Männer erhöhen eher ihre Arbeitszeiten und verdienen entsprechend mehr, während Frauen weiterhin versuchen, Familienzeit und Arbeitszeit aufeinander abzustimmen. Die strukturellen Einschränkungen der Flexibilität, wie zum Beispiel feste Kitazeiten oder Schulferien müssen vor allem Frauen ausbaden, das heißt sie haben von einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten so lange nichts, wie die Zeitstrukturen in anderen Lebensbereichen nicht darauf abgestimmt werden können. Auch ändert die Digitalisierung erst einmal nichts an der bestehenden, kulturell festgelegten Norm des „idealen Arbeiters“ – dem ohne Verpflichtungen außerhalb des Arbeitsplatzes Vollzeit arbeitenden, jederzeit im Dienste des Arbeitgebers stehenden und sich ständig weiterbildenden Beschäftigten, also Mannes. Die genderneutrale Auseinandersetzung mit den Veränderungen am Arbeitsplatz wird dazu führen, dass die bestehenden Ungleichheiten in der Arbeitswelt in die neuen Strukturen übernommen werden und sich im schlimmsten Fall noch verschärfen. Auf den Buchtagen im letzten Jahr habe ich mit Spannung Schilderungen gelauscht, wie in Verlagen Arbeitsprozesse umgestellt werden und die E-Book-Produktion von Teams mit flachen Hierarchien, die zeitlich (und vielleicht auch örtlich) flexibel zusammenarbeiten, übernommen wird. Leider scheint der Genderaspekt bei all den Überlegungen und Veränderungen der Arbeitsprozesse in der Regel unter den Tisch gefallen zu sein. Dabei sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachweislich zufriedener mit ihrem Arbeitsplatz, wenn sie ihre privaten und beruflichen Ziele besser aufeinander abstimmen können. Die Berücksichtigung von familienfreundlicheren Arbeitszeiten bei der Neustrukturierung von Arbeitsprozessen würde wohl kaum wesentliche Mehrkosten verursachen.
Neue Möglichkeitsräume
Wie immer eröffnen Veränderungen aber auch Chancen. Auf der Tagung wurde mehrfach betont, dass vor allem Frauen von der Digitalisierung profitieren können. Es wurde viel von Möglichkeitsräumen gesprochen, also von Räumen, in denen Gestaltung insbesondere aus der Genderperspektive möglich ist (zumindest für die gut ausgebildeten Wissensarbeiter*innen, die in der Buchbranche tätig sind). Beispiele für solche Räume sind die neue Rolle von Technik, die zunehmende Bedeutung von Vernetzung und Kollaboration, neue Formen von Führung und Karriere sowie das flexible Zusammenspiel von Arbeitsorten und -zeiten. Allen Räumen ist gemein, dass in ihnen Kompetenzen zählen, die häufiger Frauen zugeschrieben werden. Auch Technik wird neu verhandelt und verlässt die mehr oder weniger geschlossenen und männlich dominierten Expertensilos. Denn Technikentwicklung kommt nur dann zum Tragen, wenn Technik selbst responsiver gegenüber der alltäglichen Arbeitswelt wird und diese einbindet. Kommunikative Fähigkeiten bekommen damit eine zunehmend größere Bedeutung. Die Arbeit an und mit Technik wird auf andere bezogen, wodurch neue Anforderungen an Kollaboration entstehen. Letztendlich werden Berufsgrenzen durchlässiger, wenn unterschiedliche Mitarbeiterkompetenzen und -typen in Arbeitsprozesse aufeinander bezogen werden und alle lernen müssen, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Empowerment und Weiterbildung der Beschäftigten werden zu notwendigen Bestandteilen der beruflichen Karriere und damit auch der Mitarbeiterführung in Unternehmen. Die neue Komplexität der Aufgaben erfordert weniger Hierarchien und mehr Teamarbeit und damit auch neue Formen von Führung, wie Führung auf Zeit (zum Beispiel in Projekten) oder die Teilung von Führung. Eine Referentin beschrieb diese Entwicklung mit den Worten: „Soft Skills werden zu harten Faktoren“. Die neuen Mitarbeitertypen wiederum führen letztendlich – hoffentlich – dazu, dass neue Rollenmodelle entstehen, die weiblicher sind als der „ideale Arbeiter“. Frauen könnten so im Idealfall zu Promoterinnen neuer Arbeitskulturen werden.
Die Zukunft der Arbeit in der Buchbranche
Die Buchbranche ist bereits in diese Möglichkeitsräume eingedrungen. Einige dieser neuen Arbeitsformen gehören mittlerweile zum Arbeitsalltag von Menschen, die mit Büchern arbeiten. Verlage haben ihre Angebote um digitale Produkte erweitert, der Handel versucht sich auf neue Vertriebswege einzustellen und diese in ihr Geschäft zu integrieren. Die Arbeitsprozesse verlagern sich immer mehr in Projekte, die von Teams oder zumindest mithilfe kollaborativer Arbeitsweisen umgesetzt werden. Karriereverläufe verändern sich, wenn auch mit dem bitteren Beigeschmack, dass viele Aufgaben an sogenannte Soloselbstständige ausgelagert werden, feste Stellen immer seltener werden und die soziale Absicherung in der Branche immer brüchiger wird. Freiberufler werden mit Arbeitsmodellen wie Crowd- und Clickworking konfrontiert und müssen sich zunehmend auf die Bedingungen der Plattformökonomie einlassen, ohne die Folgen für ihre freiberufliche Existenz vollständig abschätzen zu können. Bei all den Überlegungen über die Zukunft der Arbeit in der Buchbranche sollte aus dem blinden Fleck für die Gleichberechtigung der Geschlechter unbedingt eine sichtbare Baustelle werden, damit die Zukunft nicht an den Frauen in der Branche vorbei gestaltet wird.
Um einen Anfang zu machen, wäre es interessant zu erfahren, welche Erfahrungen Ihr mit den Folgen der Digitalisierung bisher gemacht habt. Und noch viel wichtiger: Welche Möglichkeitsräume habt Ihr in Euren Tätigkeiten schon entdeckt und möglicherweise ausgefüllt?
6. Oktober 2016 um 13:23
Liebe Valeska,
danke für den spannenden Bericht.
Auf der einen Seite hat die Digitalisierung viele neue Möglichkeiten der Verwendung des “Contents” ermöglicht. Neue Vertriebswege, etc. sind entstanden. Gleichzeitig kann ich nur bestätigen, dass sich die klassischen Arbeitsformen auflösen in vielen Bereichen. So läuft die Arbeit von Projekt zu Projekt.
Liebe Grüße, Yvonne
10. Oktober 2016 um 16:37
Liebe BücherFrauen,
wer den sehr spannenden Beitrag von Valeska vertiefen möchte. Kann dies jetzt. Die
3. Gender Studies Tagung 2016 am 22. September 2016 mit dem Thema “Arbeit 4.0 – Blind Spot Gender” stellt jetzt die Dokumentation der Veranstaltung zur Verfügung unter: http://www.diw.de/gendertagung2016
Die zum Download bereitstehenden Vortragsfolien gehen auf geschlechtsspezifische Folgen der Digitalisierung ein. Sie liefern vorläufige Zahlen zu den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Deutschland und im internationalen Vergleich. Eine Aufzeichnung des Live-Streams wird unter oben genanntem Link ebenfalls in Kürze verfügbar sein.
Beste Grüße, Yvonne
23. Mai 2017 um 16:03
Die Studie von Social Europe habe ich komplett gelesen und kann da nur zustimmen, da ich glaube, dass vor allem Männer bei der Flexibilisierung profitieren. Aus meiner Sicht müssen die Arbeitgeber noch einiges dafür tun, dass für unterschiedliche Geschlechter Anpassungen erfolgen.