Dass Männer uns die Welt erklären wollen, passiert ja durchaus häufiger. Nun schließen sich der Verlag eines Autors und die Jury des Preis der Leipziger Buchmesse dem an: die Sicht der Frau – geschrieben von einem Mann.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es geht mir nicht um das Buch als solches. Der Autor kann natürlich schreiben, worüber er möchte, auch über Frauen. Wer mag, kann es gerne lesen.
Merkwürdig wird es, wenn es vom Verlag als „feministisches Manifest“ angekündigt wird. Ein feministisches Manifest, das von einem Mann geschrieben wurde? Dass es hingegen eine „Notwendigkeit einer neuen Menschheitserzählung – aus der Sicht der Frau“ gibt, dem kann ich durchaus zustimmen. Historikerinnen arbeiten daran bereits seit Jahrzehnten, Marilyn French hat eine vierbändige Geschichte der Frauen weltweit geschrieben, From Eve to Dawn: A History of Women in the World, die noch auf eine Übersetzung wartet.
Aus der Sicht der Frau bedeutet es auch genau das: dass es um den Blick der Frauen geht, dass Frauen das Wort ergreifen und dass ihnen vor allem auch zugehört wird. Und genau daran hapert es heutzutage nach wie vor. Die Sicht der Frauen ist keine „unerhörte Geschichte“, sondern Alltag für alle Frauen – weltweit! Dazu brauchen wir keine Männer, die meinen, unsere Geschichte erzählen zu müssen, die uns Worte in den Mund legen. Warum auch? Hat nicht Christa Wolf über Medea und Kassandra geschrieben, Margaret Atwood über Penelope, Madeline Miller über Kirke, Christine Brückner den Zyklus von Monologen Wenn du geredet hättest, Desdemona. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen. Steht nicht Sara Stridsbergs Roman Traumfabrik über Valerie Solanas gerade auf der Longlist des Man International Booker Prize? Um nur mal einige wenige der zahlreichen Beispiele zu nennen … Gibt es nicht viele Bände mit Porträts und Kurzbiografien von Frauen, ja sogar eine ganze Website, die sich den Leben von Frauen widmet? Auf fembio.org, einem Portal, das älter ist als die Wikipedia, finden sich über 31.000 bedeutende Frauen aller Epochen und Länder – und es werden täglich mehr.
Frauen äußern sich, erheben ihre Stimme, schreiben – unaufhörlich, tagtäglich. Gelesen werden ihre Bücher in der Regel meist von Frauen, wie sich immer wieder in Untersuchungen zeigt, rezensiert werden sie deutlich weniger, wie sich gerade bei der Pilotstudie Sichtbarkeit von Frauen in den Medien und im Literaturbetrieb zeigte. D. h. sie sprechen schon lange, sie schreiben schon lange, d. h. sie sind und waren nicht so „schweigend unsichtbar“, wie uns der Verlag gerne glauben machen möchte. Aber so ist es eben: Frauen und das, was sie tun, sollen die Ausnahme bleiben, die Schlumpfine, wie Nina George sie bezeichnete. Nicht, dass sie auf Dauer noch denken, dass sie alles tun können und damit auch noch gehört werden könnten, dass ihre Sicht der Dinge als allgemeingültig wahrgenommen werden könnte. Nein, da muss schon ein Mann kommen und den Frauen eine Stimme geben. Dem wird dann zugehört, und er wird auch noch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Aus der Begründung: Er „findet diejenigen, die bislang hinter den Stimmen ihrer Männer verborgen blieben: die Frauen“.
Klar, wir haben schon immer auf die Männer gewartet, die uns eine Stimme geben, denn wir können ja nicht selber sprechen. Und werden „gefunden“ – aber wieso müssen wir gefunden werden? Wir sind mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Einfach mal hingucken und hinhören würde da schon ausreichen; Frauen sind nicht unsichtbar.
Ein Tipp an diejenigen, die die Stimmen der Frauen hören bzw. lesen möchten: Es gibt unzählige Frauen, die schreiben, unzählige Frauen, die ihre Stimme erheben, die keineswegs verborgen sind – einfach mal zuhören, Frauen als Expertinnen auf die Podien einladen und Bücher von Frauen lesen. Es erweitert das Weltbild!
Fotos: © Doris Hermanns
19. März 2019 um 15:55
<3! Liebe Doris, vielen Dank!
26. März 2019 um 16:54
Für die, die es verpasst haben: Den Preis der Leipziger Buchmesse hat Anke Stelling für “Schäfchen im Trockenen” gewonnen, was mich sehr freut!