Station 6 und 6,5.
Santaluz, CA, La Jolla/San Diego, Kalifornien, Ortszeit 23:01.
Ich liege auf dem Bett des rosenfarbenen „La Valencia“-Hotels, a room with a view. Sea Lions, Seehunde, bellen heiser, der Pazifik rollt und atmet, lange, sanfte Wellen, neun Stunden hinter europäischer Zeit, ich bin seit 20 Stunden wach, die Nacht ist schwarz und dünnhäutig.
[Neun Städte in acht Tagen: Die US-Lesetour der Schriftstellerin Nina George („The Little Paris Bookshop“, „The Little French Bistro“) wird zu einer Seelenreise in das Herz des intellektuellen, des armen und des Amerika auf der Suche nach einer Haltung. Sie spricht mit Buchhändlerinnen, Leserinnen, Agentinnen und Menschen auf der Straße. Georges Tagebuch „This is not Trump’s Land“, das sie jeden Abend zunächst nur per Mobiltelefon für ihre Facebookfreundinnen schrieb, erscheint auf dem Blog der Bücherfrauen das erste Mal öffentlich und ungekürzt. Teil 5]
Verliebt bin ich auch. Nach fünf Städten fühle ich mich das erste Mal so wohl, dass ich bleiben möchte. Palmen, Ozean, französisch anmutende Patios, kein ätzend quälender Traffic, Kalifornien.
Der Staat, in dem Gluten als modernes Gift gilt, niemand raucht und aus jeder zweiten Kneipe ein Yogastudio wird.
Wo ich mit dem persischen Zigarettenverkäufer über Heraklit, Hegel, Spinoza, den Urknall, Gedichte und den Unterschied von Kultur und Lifestyle spreche. Wo Leute über 50 vermissen, die 12 Meilen nach Tijuana zu fahren, ohne Border control, an den Strand, zum Essen, zum Dasein, so, wie als Kinder noch.
Wo ich mit „my friend“ angesprochen werde in den Lädchen und wo die Navy herrscht.
Mittagstermin. „Ladies Literature Lunch“ in Santaluz, inmitten eines Golfresorts, der französische Geschäftsführer aus St. Malo, der Chefkoch Russel ein Cutie, Surfertyp in weißer Küchenuniform. Für „The Little French Bistro“ hat er ein eigenes Menü entwickelt, 60 Ladies probieren St. Jacques und Krabbenrillette, auf den Tischen Blumen in der Farbe des Covers, es fließt Alkohol und ich entscheide mich für eine halbe Seite lesen und improvisierter Stand-up Comedy, „nie so sehr gelacht“, wird es später heißen, ich signiere eine Stunde, draußen ruht der blaue Himmel sanft und tief über dem trocknen und gleichzeitig grünen Land. Nachts darf das Resort keine Lichter anschalten; ein Himmelsobservatorium schaut mit tausend Augen tief in die Unendlichkeit, die uns umhüllt.
Ladieslunch. Die Wagenmeister, die die weißen, goldenen oder beigen wirklich riesigen SUVs parken, sind kaum über 21; wer hat am Donnerstagmittag drei Stunden Zeit? Manche Kleidung verströmt diskreten Reichtum, die Ohrringe, die Maniküre.
Gleichzeitig sind die Frauen von einer reaktionswachen Gegenwärtigkeit, straight talk, beim Signieren immer Augenkontakt, erstaunlich viele taxieren meine Haut, fragen, warum ich für 44 so jung aussähe.
(Diese Frage wird als weniger intim angesehen als später am Abend im „Warwick’s“, was ich über die „derzeitige Situation“ denke – kalifornischer Euphemismus für Donald Trump, hier bisweilen auch Fucker genannt, sogar von zarten, sonnenzerknitterten Ladys.)
Zurück zum juvenilen Grundkonzept. Gut für die Haut?
Champagner, Gauloises, gut essen, antworte ich, erschrockenes Gruseln.
Ich liebe sie alle. Die überflutende Herzlichkeit, die Amüsierbereitschaft, die darunter liegende kristallharte Klarheit, es sind Frauen, die eine innere Festigkeit, Zielgerichtetheit besitzen, es ist, i have to admit, ein funkelnder Stern der Tour. Essen, trinken, intelligent rumblödeln, das alles in einer delikaten, durchaus dezent luxuriösen Umgebung, mit Spitzenservice, der gleichzeitig herzlich, echt und professionell ist?
In welcher deutschen Stadt würde das Konzept aufgehen? Hamburg, weil dort das Geld ist? München, weil dort manche Lady genug Freizeit hat?
Oder geht das nicht, nicht so, aber anders? Sollten wir uns mehr mit den Zuhörern unterhalten, anstatt sie 90 Minuten zuzutexten? Elisabeth hat fünf Jahre gebraucht, bevor sich das Konzept etablierte. Mit einem iranischen Literaturprofessor, Poteh, rede ich über Travel bans, über refugee crisis, er sagt, Germany is doing well with this, besser als andere Länder, ihm imponiert, wie viel auf freiwilliger Basis an Hilfe geleistet wird. Vor Paris hat er Angst, Terror, scary. Wir verabreden uns für 2019, ich soll lectures an seiner Uni halten.
Neulich war Don Winslow im „Warwick’s“, La Jolla. Er sei erfolgreich in Germany, sagte er, und: er sei sowas wie der David Hasselhoff der Crime-Literatur in Deutschland.
Bild, Selbstbild, Joke, Schmerz, Wahrheit.
Auf einmal fällt die Müdigkeit über mich her. Ich lege das Handy beiseite; morgen Danville/San Francisco, yeah, Ma’am.
Ortszeit 06:58. Um 06:00 Uhr hochgeschreckt, nach fünf Stunden Steinschlaf, der Pazifik rollt, Seehundfamilien tauschen die ersten Nachrichten aus. Vogelkolonien, Ammoniakgeruch in der Luft.
Das „Warwick’s“ wird wie fast alle meine besuchten Buchhandlungen von Frauen geführt. Die Crowd stellte eine Stunde Fragen, die letzte ist die Trump-Frage. Grummeln und „No!“ aus der Audience, Trump ist ihnen zu präsent, geht ihnen auf die Nerven, ich entscheide mich, demokratische Werte zu beschwören. Jeder kann Präsident werden, Präsidentin. Das ist der amerikanische Traum. Das ist Demokratie. Zu wählen, wen man will, auch. Andere Meinungen zu ertragen, auch. Mit den Konsequenzen einer Wahl – oder Nicht-Wahl – zu leben heißt, in einer Demokratie zu leben. Mitgestaltung, Auseinandersetzung, Debatten, Aufklärung: Das ist die Gegenwart, die genau das von uns verlangt.
Meinungsfreiheit heißt nicht, dass nur meine Meinung zählt.
Langer Applaus. Die Frau, die fragte, hat ihren Hund Andy dabei. Sie lässt das Buch für ihn signieren.
Julie und MaryLee geben mir ein Fourpack Champagner mit Kronkorken mit.
Berlin, das sei ein Ort, über den sie gerne mehr Romane lesen wollen. Nimm das als Auftrag, german bookbusiness. „It’s exotic.“
MaryLee, meine Hostess von „Warwick’s“, wäscht meine verschwitzten Kleider.
Ich signiere hundert Bücher. Nächste Woche werde ich in den Top Ten der Indielist sein. Ein Paar, beide über 75, tanzt Tango Argentino. Die ersten auf meiner Reise durch dieses so unterschiedliche große Land.
Wie sich Erfolg anfühle, fragt eine.
Er hilft nicht beim Schreiben, er macht in manchen schlaflosen Nächten, dass ich mich trudelnd im weiten Raum fühle. Er hilft, zu geben. Zeit, Kraft. Steuern. Geschenke.
Freiheit, ja, auch, zu tun, was ich will – aber den Mut zu tun, was ich will, der kommt nicht vom Konto, der kommt aus derselben Quelle wie zuvor, und manchmal bin ich so verzagt und trotzig wie mit 15, als mein erster Freund sagte: Schriftstellerin? Du? Was glaubst du denn, was du schon Wichtiges zu sagen hast?
Darum ging es nie.
Ich schreibe, um das Leben zu begreifen. Sie ist so unfassbar, die Existenz, gibt es einen Grund, einen Sinn?
Ich wollte immer, dass meine Existenz einen Unterschied macht. Dass der Zufall meines Daseins als viermilliardenster Mensch kein Zufall ist.
Ich leuchte für einige Jahre, in 200, 400 Jahren gehöre ich zur namenlosen Menge, wie alle, wie wir alle, es tröstet mich, so kann ich jetzt Jetzt sein.
Du schwimmst niemals zweimal im selben Fluss.
Die Navy-Hubschrauber fliegen tief über den Pazifik.
Langsam gehe ich zum Hotel zurück, how are you, ich bin müde, wach, ich durchschwimme die Zeit, immer weiter vor und doch zurück.
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