Station 7 und 7,5.
San Francisco, Ortszeit 15:15, Danville, 30.6., Healdsburg 1.7.17

Das erste Mal Zeit für eine Stadtrundfahrt (© Nina George).
Congratulations zum Gesetz „Ehe für alle“, so begrüßt mich Media-Escort Deirdre als Erstes im doch eher kühlen Frisco. „Den härtesten Winter erlebte ich im Sommer von San Francisco“, sagte Mark Twain; der berühmte Nebel, der sich so dekorativ um die Golden Gate Bridge legt, ist oft eiskalt und schenkt unvorbereiteten Touristen einen erstklassigen Schnupfen.
[Neun Städte in acht Tagen: Die US-Lesetour der Schriftstellerin Nina George („The Little Paris Bookshop“, „The Little French Bistro“) wird zu einer Seelenreise in das Herz des intellektuellen, des armen und des Amerika auf der Suche nach einer Haltung. Sie spricht mit Buchhändlerinnen, Leserinnen, Agentinnen und Menschen auf der Straße. Georges Tagebuch „This is not Trump’s Land“, das sie jeden Abend zunächst nur per Mobiltelefon für ihre Facebookfreundinnen schrieb, erscheint auf dem Blog der Bücherfrauen das erste Mal öffentlich und ungekürzt. Teil 6]

San Francisco lebt von Google – und wird gleichzeitig durch den Digitalgiganten zerstört: Steigende Mieten, Gentrifizierung, Datenschutzlecks (© Nina George).
Auf dem Weg nach Danville – der Holiday-Weekend-Traffic lässt eine Strecke, für die wir auf dem Rückweg in der Nacht nur 40 Minuten brauchen, problemlos auf zwei Stunden anschwellen – durchstreifen wir San Francisco. Nob Hill, Snob Hill, die armen Gegenden, die nicht so armen, die Mietpreise in SF sind explodiert, und mit ihnen die Zahl der Homeless People, die auf den Straßen leben – obwohl sie einen Job haben, in Hotels oder in Putzkolonnen. Aber auch Lehrer können sich Mieten in der Stadt nicht mehr leisten. Es seien die Leute, die bei Facebook, Google und anderen Internetfirmen arbeiten, die die ehemals günstigen Viertel überschwemmen, die Preise hochdrücken; sie werden gut bezahlt, ihre Religion ist das virtuelle, nicht das analoge, „overpayed und undercivilised“, murmele ich, „You nailed it“, sagt sie.
Mir fällt auf, dass es so wenig Supermärkte gibt, wo kaufen die Leute ein? Amazon, sagt Deirdre, Grollen in der Stimme. Amazon, Uber, Google, es sind Konzepte, die die gebürtige New Yorkerin ablehnt – weil sie innerhalb kurzer Zeit ganze Lebensräume vernichten, Märkte so intensiv unterwandern, dass die Konsequenzen vielfältig und destruktiv sind. Steigende Mieten, leerstehende Läden, immer weniger Gehalt für mehr Arbeit für jene Leute, die nicht im Webbusiness arbeiten, aber die Auswirkungen der Umstrukturierungen analoger Lebensräume hart zu spüren bekommen.
Wir fahren auf einen Berg, dessen Namen ich vergessen habe. Unter uns die Stadt. Der Wind ist so kalt, dass ich noch eine Viertelstunde danach Goosebumps an den Schenkeln habe. Aber der Kopf, das Herz wurde frei geweht, die Aussicht ist unvergesslich. Danach schrauben wir uns Richtung Danville durch die „Golden Hills“ von San Francisco, ausgetrocknet von einer Hitzewelle vor einer Woche, 40 Grad.

„Rakestraw Books“ in Danville. Das wird eine „Bring a Bottle“-Lesung – die Gäste bringen sich selbst Getränke mit, der Buchhändler spendiert das Essen. Die Autorin liest zwischen den Gängen und räumt später mit ab. Um mein eigenes Glas Wein muss ich erst betteln und erhalte dann zögernd einen Plastikbecher vom Hausherrn. Thank you not (© Nina George).
„Rakestraw Books“ in Danville. Klein, nachbarschaftlich, eng, es ist etwas an der Stadt, das mich aggressiv und traurig macht. Vielleicht die hysterische Dame, die mich anschreit, ich rauche in einem Handicap-Parking-Bereich. Ich deute auf den Aschenbecher, der exakt dort steht. Vergeblich versucht sie, einen Mann dazu zu bewegen, mich dazu zu bewegen, wegzugehen. Die Servicelady im Starbucks erzählt, sie hat Englischkurse in der Mongolei gegeben. In ihren Augen Weltenwanderer-Erfahrung. Sie erzählt von Jagdvögeln und Pferderennen in der Mongolei, von den Frauen, die sich dort als Kriegerin, als Chefin der Clans beweisen.

Ich bin die letzte Raucherin auf dem Kontinent. Und darf nicht mal auf Parkplätzen mehr qualmen (© Nina George).

Zu Tisch. Gäste bringen Wein, Buchladen stellt die Speisen (© Nina George).
Es ist ein Dinner-Event im „Rakestraw Books“. Die Sonne geht auf, als Heidi über den Parkplatz kommt, sie ist zwei Stunden von Cupertino hierhergekommen. Oh, Liebe! Ich sende eine Umarmung aus dem „Scarlet Huntington“ zu dir.
Ich spreche fünf Minuten nach der Charcuterie, dann 25 Minuten nach dem Hauptgang, Q&A vor dem Dessert, Signieren währenddessen. Ich komme kaum zum Essen, sprich: gar nicht.
Leicht irritiert bemerke ich, dass ich weder ein Wasser angeboten bekomme vom Chef Michael, als ich ankomme, stattdessen rausgescheucht vor den Laden, noch, dass er mich mit mehr als meinem Namen vorstellt, und als ich um ein Glas Wein bitte, bevor ich spreche, lächelt er und ignoriert diese Bitte. Während der Lesung textet er mit seinem Handy.
Alle lieben Michael, er gilt als kreativ und engagiert; mir kommt er als kleiner König in seinem Papierreich vor, für den ich als Autorin aus Europa absolut gleichgültig bin, ich habe erstmals auf der Reise den Wunsch, eine sehr zickige Autorin zu mimen, und sein verlegenes „You were great“ am Ende kann er sich sonstwo. Ich tue es nicht, sondern lege eine Charmebombe mitten in die Audience, räume zwischendurch kurzerhand mit ab, komme so mit allen an allen sieben, acht Tischen ins Gespräch, es wird viel gelacht, gefragt, mit Patricia verabrede ich 2019 Tango-Lessons und Weinverkostung in ihrem Haus samt Lesung (take this, Michael), mit Linda eine Brieffreundschaft. Und doch. Erstaunt stelle ich fest, dass mich Details verwunden können, weit mehr als offene Ansagen. Das fehlende Glas Wasser. Der fehlende kleine Satz, wer zum Teufel ich bin.
Was die Audience am meisten schätzte: Als ich erzählte, ich wolle mit der „Mondspielerin“/„Little French Bistro“ auch erzählen, dass es ein Leben nach 39 gibt – ein sexuelles, ein berührendes, ein Liebesleben. Am Anfang verlegenes Hüsteln, dann kommen die rund 50 hauptsächlich Frauen, hauptsächlich über 55, 60+, in Schwung, es gibt spontanen Applaus, „Ja!“-Rufe, als ich einmal mehr beschwöre, dass die Lust auf Zärtlichkeit nicht von ästhetischen Grenzen kleingeistiger Youngsters und peinlich berührter Konventionen-Hochhalter beschränkt werden sollte.

Morgendämmerung auf „Snob Hill“ (© Nina George).
San Francisco in the morning. Ich nehme mir dreieinhalb Stunden Zeit, um zu flanieren. Musik überall, Essen, indisch, chinesisch, französisch, vegan, glutenfrei (natürlich), Messerschlucker, Bibelverkäufer, Alcatraz-Fans, Rikschas, Pappkamerad Donald Trump, Skateboarder, nirgends Raucher außer mir, Wasserglitzern, Cablecars.

CableCar-Fahrer Saul. Freute sich über Trinkgeld und würde Trump dann fahren lassen, wenn der auch sieben Dollar bezahlt, wie jeder (© Nina George).

„Gary, fass den mal an der Pus…“ – „Okay, Marge, ich hab’s schon verstanden.“ (© Nina George)

Ausflugsboot zur ehemaligen Gefängnisinsel Alcatraz (© Nina George).

„Den kältesten Winter meines Lebens erlebte ich im Sommer in San Francisco“, sagte Mark Twain. Stimmt: Die thermischen Eigenschaften der Bucht lassen im Sommer stets eine eiskühle Front durch die Stadt wabern, Halstuch ist obligatorisch (Foto: © Saul, CableCarDriver).
Als ich Saul einen Dollar Tip gebe, nennt er mich Sweetie und gibt mir fortan den besten Aussichtsplatz.

Die ehemaligen Docks wurden zur Tourifressmeile (© Nina George).
Fischerman’s Wharf. Bettler überall, ich werde mein Kleingeld los, spiele auf alten mechanischen Amüsier-Maschinen, lasse mir meine Zukunft vorherbimmeln – ich werde Nightclub-Hostess. Na dann.

Wenn das nix mehr wird mit dem Schreiben, sagt mir die Futuremachine eine glanzvolle Karriere als NightClub-Hostess vorher. (© Nina George)

Die Folgen des Alkoholkonsums kindgerecht erklärt (© Nina George).
Am Ferry Building treffe ich Jack mit seinen beiden Katzen. Eine sieht aus wie Commissaire Mazan.
Heute Nacht werde ich endlich einen kalifornischen Sauvignon trinken, in meinem tanzsaalgroßen Hotelzimmer (ohne Minibar). Aber zuerst kommt der letzte Spot der Tour, „Copperfield’s“ in Healdsburg. Deidre sagt, sie ruft dort vorher an und erinnert an Wasser und Wein. Deirdre sagt manchmal im selben Moment Dinge, in denen ich sie denke.
Ich ärgere mich mit der Air-France-App herum. Beinahe hätte ich ein Upgrade in die Businessclass geschossen, für zehn Stunden Flug einen Liegeplatz für nur 280 Euro, dann brach das Mistding ab und ich richte mich auf Gymnastik in der Bordküche alle zwei Stunden ein.
Ich freue mich auf Europa, das bemerke ich, ich freue mich auf den Kaffee, auf den Wein, auf die Sprache, auf die Musik, auf die Vertrautheit, auf die innere Nähe zu mir selbst, auf meinen Strand, die Felsen, den Himmel, die kraftvolle Landschaft, auf meinen Roman.
Und doch, diese Tage werden eine tiefe Spur in meinem Sein hinterlassen, ich habe ein paar gefährliche neue Gedanken mitgebracht.
Bis morgen, jetzt: und los.
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29. November 2017 um 17:40
wundervolle Nina George…einfach tief und liebevoll zu lesen….danke für das Gedanken teilen…so ein blöder Michael(grins)….kuss Alessa