BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

This is not Trump’s Land – Reisetagebuch von Nina George (2/8)

| 2 Kommentare

Station 2.

Madison, Connecticut. Ich schreibe dies bereits im Amtrak-Acela-Express ‪2159 New York – Washington, D.C. Es ist ‪Montag, 14:02 Ortszeit New York, ‪20:02 Europa-Time, am Ende ‪15:35 / ‪21:35, Höhe Baltimore.

Das gestrige Amtrak-Training mit Rebecca nach Madison, Connecticut – ein Städtchen mit Fassaden wie Tortendekoration – hat mich vorbereitet, dennoch bleiben europäische Reaktionsmuster. Vorsichtig ausgedrückt. Man könnte auch sagen: Irritation. Und Dankbarkeit für die Deutsche Bahn.

[Neun Städte in acht Tagen: Die US-Lesetour der Schriftstellerin Nina George („The Little Paris Bookshop“, „The Little French Bistro“) wird zu einer Seelenreise in das Herz des intellektuellen, des armen und des Amerika auf der Suche nach einer Haltung. Sie spricht mit Buchhändlerinnen, Leserinnen, Agentinnen und Menschen auf der Straße. Georges Tagebuch „This is not Trump’s Land“, das sie jeden Abend zunächst nur per Mobiltelefon für ihre Facebookfreundinnen schrieb, erscheint auf dem Blog der BücherFrauen das erste Mal öffentlich und ungekürzt. Zu Teil 1]

 

New York, Pennsylvania Station (© Nina George)

In der New Yorker Penn Station geht das Militär Streife. Das Abfahrtsgleis wird fünf Minuten (frühestens) vor (geplanter, erhoffter) Abfahrt bekannt gegeben, auf großen Panels, vor denen gefühlt Tausende lauern, bereit zum Sprint, bereit, zumindest nicht Letzter in der Reihe zu sein. Züge nach New Orleans haben traditionell sechs Stunden Verspätung.

Bäm, 12W! Hunderte Reisende mit Koffern groß wie Särge wühlen sich durch ein Nadelöhr mit einer Rolltreppe. Wer zuerst unten ist, darf sich einen Sitzplatz aussuchen, im kilometerlangen Eisendrachen, der den sonnig gleißenden Horizont aufschlitzen wird mit Tempo 250. Der Rest füllt freie Plätze auf. Keine Reservierungen möglich. Die Klimaanlage auf Wintertemperaturen fixiert. Die Wenigsten hören mit Earplugs Filme oder Musik, sondern direkt aus dem iPhone. Kakophonie von Kinderspielen, TV-Serien, Filmen. Die Hälfte des Business-Class-Cars ist voll mit ins Telefon murmelnden Abgeordneten, die nach Washington pendeln. Ein New Yorker Senator wird von Fans fotografiert. Ich trete diskret aus dem Bild. Wenn der wüsste.

Filter-Bubble ein. Ich höre im Kopf Sunny. Dimme meine Emotionen. Erhöhe meine Freundlichkeit.

Georges US-Verlag Crown (Imprint von Random House) sitzt am Broadway (© Nina George)

Die restlichen Kirschen teilte ich mit einem Bettler am Broadway, er stand vor dem mit Büchern gefüllten Eingang von Penguin Random House und fragte, ob ich die noch essen will. Ich bot ihm an, in meine Kirschentragetüte hineinzugreifen. Er zeigte seine Hände: „Das wollen Sie nicht…“ Sie sind eigentlich nur ein wenig dreckig, doch bevor er sich beschämt fühlt, schaufele ich ein Pfund in die geöffnete Schale seiner rissigen Finger. Sein Lächeln nehme ich mit in die Filter-Bubble. Vor dem Bahnhof ein weiterer Bettler. Oder, wer weiß, einfach nur normale Leute, die ein wenig schnorren. Diesmal keine Kirschen. Zigaretten. Ich schenkte ihm meine letzten drei Gauloises, importiert aus Frankreich, er sagte „Bien sur, Madame“ und steckt sie regungslos ein. Über Trump reden wir nicht. Ich würde gerne. Und auch nicht. Es ist offensichtlich, dass er den Menschen, die in der Buchbranche arbeiten – „The Business of Hope“, wie meine Verlegerin sagt – unangenehm ist, dass sie keine Erklärung haben, wie dieser grausame Witz Wirklichkeit werden konnte, und wie oft sie es mit europäischen Kollegen zu tun haben, die sie immer wieder damit peinigen. Das ist, als würde man dich oder mich vorwurfsvoll fragen, warum „die Deutschen“ AfD wählen. Und das dauernd.

„RJ Julia“, Madison/Connecticut (© Nina George)

Zurück nach Madison. Sonntag, 25.6.2017: Auftakt der Lesereise bei „RJ Julia“. Lesereise ist hier anders. Gelesen wird höchstens 8 von 60 angesetzten Veranstaltungsminuten. Und das bitte nicht am Stück. Erzählen, Anekdoten, Kontext, Absätze vortragen, intim werden, ehrlich sein, warum, wie, wieso und nicht anders, Q&A, Signieren, Foto, Abfahrt.

Ich denke daran, wie lang es dauerte, an diesem kleinen Pult zu stehen, vor rund sechzig Amerikanerinnen und drei vermutlich sanft überredeten Ehemännern. Ein sehr langer Anlauf, von der die Amtrak-Fahrt von zweieinhalb Stunden nur der letzte lange Schritt war. Wie viele Jahre schreibe ich nun? 26, in denen ich professionell veröffentliche. 30, wenn man die dezent überarbeiteten Tagebücher mit 13, 14 mitrechnet. Fiktionales Leben, weil mein eigenes begrenzt war und ich voller Sehnsucht.

Ich bin auf einmal voller Schwäche, Schmerz und Aufgeregtheit. Es war ein so langer Weg. Er war so lang. All die tausend Tränen. „Die Mondspielerin“ war der Durchbruch meiner Stimme. Dass sie sieben, acht, neun Jahre später gehört wird, hier, vor diesen so anderen und doch so ähnlichen Menschen, geht mir nah. Die Kultur, die Politik, der Alltag: Es ist so unterschiedlich. Wir verachten Trump, wir kehren auch selbst vor unserer Tür.

Auftakt bei „RJ Julia“ in Madison.

Aber das Gefühl – lieben, verwundet sein, wenn man nicht geliebt wird; älter werden, sich fragen: Bin ich hier richtig, was ist aus mir geworden – wirklich ich? – weibliche Momente, Selbstliebe, lebendig sein, wirklich lebendig sein: All das, das geht weiter über so etwas Banales wie Landesgrenzen, das schmiedet uns zusammen, Frau und Frau und Frau, über Alter, Religion, Beruf, Aussehen, Alltag hinweg.

Bücher. Die Résistance.

Ich mache mich gerade. Später, da werde ich in der Nacht weinen, um kurz nach halb vier, und New York wird sich um mich schließen, diese Stadt schläft nie. Ich bekomme Champagner in Madison. Der Audience erkläre ich, dass mein europäischer Körper denkt, es sei ‪22 Uhr. Gelächter. Dann trinken sie mit, ‪um 16 Uhr nachmittags.

Auf Englisch, Französisch und ein paar Brocken Deutsch erzähle ich die Geschichte von Marianne aus der „Die Mondspielerin“. Verrate französische Beauty-Geheimnisse („Two Lipsticks and a Lover“). Lese. Wie ich halt lese, mit allem, was ich bin, Stimme, Gesicht, Bewegung. Später wird es heißen, so etwas hätten sie noch nie erlebt. Ich denke mir, dass das Lesetraining in Deutschland uns Autorinnen und Autoren offenbar guttut.

Signierstunde im „RJ Julia“.

Am Ende der langen, wirklich langen (Das bin ich so nicht gewohnt, dass jeder ein Buch kauft?!) Signierschlange eine Frau, die mich an Diane Keaton erinnert. Wir sprechen Französisch. Sie wird nächste Woche nach Europa fliegen. Sie hat das dringende Gefühl, sich bei allen, die sie dort treffen will, zu entschuldigen, für Trump. „Il est un …“ beginnt sie, ich ergänze: „Asshole?“, and she was saying: „Grand Con.“ Vollidiot. Wir werfen uns Schimpfwörter zu. „Excuse our french“, sage ich zur Buchhändlerin, wir lachen alle, befreit. Diane Keatons Doppelgängerin sagt, es ist ihr peinlich, nach Frankreich zu fahren und Amerikanerin zu sein, sie hat das tiefe Bedürfnis zu erklären, dass Amerika nicht so ist, nicht so. Dasselbe wird auch die Buchhändlerin sagen. Sie erzählt von Kollegen inmitten jener Staaten, in denen Trump die Mehrheit hatte, und die an den Tagen der Pussyhat-Women’s-Marches besonders viele Anti-Trump-Bücher ins Schaufenster stellten und einen Tisch gestalteten unter dem Motto „Meinungsfreiheit ist Demokratie“. Kunden hätten sich daraufhin beim Geschäftsführer beschwert. Manche kauften dort nicht mehr. Weil, das mit der Meinungsfreiheit: Das sei schon sehr anarchistisch. Sehr politisch. Science Fiction wird übrigens gerade (wieder) hip. Und Lovestorys ohne Happy End. Und, ja: Herman Koch.

„Bookbusiness is a real business of just hope.“

Als ich als Aktivistin für Frauenrechte und Autorenrechte vorgestellt werde, wird mehr geklatscht als bei der Erwähnung der 35 Übersetzungen.

Die Limousine, die Rebecca – sie hat meinen gesamten Zeitplan der acht Tage und neun Städte minutiös erarbeitet, ich frage mich, ob ich sie nicht einfach mitnehmen darf? – und mich zurückbringt, ist ein schwerer, großer Lincoln mit Hetta, einer im Anzug und Lederhandschuh gekleideten New Yorkerin. In den Barrels fährt sie wie jemand aus den Barrels. Das Wasser leuchtet so hellblau wie der Atlantik vor Trévignon beim Sonnenuntergang. Heimweh.

Schon wieder PJ Clarkes. Holly, Frances – und meine Kellnerin freut sich mehr über die heimlich zugesteckte französische Zigarette als über den Tip. Später, als Frances gefahren ist, sehe ich eine Frau in der Nacht an einem Klavier an der 62sten Straße sitzen und spielen. Ich wasche das erste Mal ein Shirt, ein Kleid. Bordcase-traveling. In dem Zimmer nebenan feiern laut sprechende Amerikaner (mit langweiligen Geschichten) bis weit nach halb fünf Uhr und schlagen mit den Türen. Ich überlege, sie zu beschimpfen. Lasse es. Ich weine ein bisschen, schlafe mit Silikon-Earplugs, bei geöffnetem Fenster, die Sonne, die nach fünfeinhalb Stunden aufgeht, scheint mir auf den nackten Bauch.

Blues. New York, du fehlst mir jetzt schon, dabei kenne ich dich nicht mal gut. Als ich das Empire verlasse, um die brillanten Crown-Ladies (Buchbusiness ist weiblich – inklusive glass ceiling vor den Top-Positionen, da sind sich USA und Deutschland ähnlich) in der Brasserie Cognac zu treffen, drehe ich das Schild meiner hard-partying-neighbours um. Von „Bitte nicht stören“ auf „Clean up room“. Ich habe nie gesagt, dass ich ein reinguter Mensch bin.

Der Amtrak rast durch ein grünes Land, über Brücken und Wasser, Lehm und Highways mit gigantischen Transformer-Trucks, unter einem Stephen-King-Himmel entlang. Das kleine Mädchen hat nach zwei Stunden Schreien erschöpft aufgehört.

Heute Abend: „Politics and Prose“, Washington D.C.

We are getting nearer to the rumblings.

Zurück zu Teil 1
Weiter zu Teil 3

Merken

Autor: Nina George

Die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Nina George schreibt Romane, Sachbücher, Thriller, Reportagen, Kurzgeschichten sowie Kolumnen. Ihr Roman „Das Lavendelzimmer" stand 63 Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, wird in 35 Sprachen übersetzt und war u.a. New York Times Bestseller. Mit ihrem Ehemann, Schriftsteller Jo Kramer, schreibt sie unter „Jean Bagnol“ Provencethriller. Nina George ist Beirätin des PEN-Präsidiums und WWC-Beauftragte, Bundesvorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, sowie Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt. Sie lebt in Berlin und der Bretagne. 2017 wurde George als BücherFrau des Jahres ausgezeichnet. www.ninageorge.de

2 Kommentare

  1. So glad you are in the US sharing your brilliant stories. They fill the reader with life, hope and tears. Thank you!

    Your 2 books in English must be owned…possessed. I borrowed “Bookshop” from the library, but felt so much life and shared tears in the pages, I purchased a new copy and swapped it with the libraries copy. So much emotion in the pages I needed to keep it.

    And “Breton” moved me in a totally different manner. Wow..what a world tour I was on with you.

    • Dear Marybeth, thank you so much! The next days the Diary will be online at nina-george.com – translated in US-English by the wonderful translator Heidi Holzer.
      And thank you so much for your words. They made my heart full of smiling stars.
      – Nina

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.