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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

This is not Trump’s Land – Reisetagebuch von Nina George (1/8)

| 4 Kommentare

Neun Städte in acht Tagen: Die US-Lesetour der Schriftstellerin Nina George („The Little Paris Bookshop“, „The Little French Bistro“) wird zu einer Seelenreise in das Herz des intellektuellen, des armen und des Amerika auf der Suche nach einer Haltung. Sie spricht mit Buchhändlerinnen, Leserinnen, Agentinnen und Menschen auf der Straße. Georges Tagebuch „This is not Trump’s Land“, das sie jeden Abend zunächst nur per Mobiltelefon für ihre Facebookfreundinnen schrieb, erscheint auf dem Blog der Bücherfrauen das erste Mal öffentlich und ungekürzt.

Station 0.

Marseille. Europäische Gelassenheit (© Nina George)

Marseille. Die Hitze brennt ein Loch in den Tag. Halle 4 ist kühl und leer. Wohlig erschöpfte Badehosenurlauber. Scanne selbst meinen Pass ein, gebe cabin case auf, die Security wünscht mir eine bonne journée. Keine 5 Minuten, dann bin ich im Transit. Südfranzösische Gelassenheit.

Es geht nach Orly, dann verlasse ich Europa und kehre erstmals seit 2011 und 1994 in die USA zurück. Wie wird sich der Herzschlag verändert haben? Die Ängste? Die Hoffnungen?
Boarding.

Station 0,5.

Paris Orly, Abflug nach JFK. (© Nina George)

Paris-Orly. Der Anflug wie immer an die Pariser Aeroports. Buckelpiste, Eisbahnrutschen und Magenlift. Alter Flughafen, kein Transit. Verirrte Menschen, große Koffer, 20-Minuten-plus-Securitycheck, dank Fast Lane das George-Clooney-Gefühl, ich brauche drei Minuten. Enge Hallen, überforderte Kinder, sich laut beschwerende Amerikanerinnen, die sich anteilheischend umsehen wegen 30 Minuten Verspätung. Alle stehen, Katzen fauchen aus Tragekästen, Schweiß rinnt. Neun Rollstuhlfahrer brechen im Zeitlupentempo die Menschenmauern auseinander.

Ich esse das Nationalgericht Frankreichs: Sandwich Emmenthal-Jambon cuire avec un dessert, 2 Madeleines (bien sur), und stelle mich an eine kühle Wand. Ein Perrier dazu. Zwei Französinnen neben mir amüsieren sich.

(© Nina George)

Eine Amerikanerin liest Harlan Coben. Dann zieht sie ihr Samsung hervor und trägt in ihren Terminkalender „Dr V, Botox“ ein.

Die Kunst, eine Blase um sich zu bilden.

Boarding.

PS: Kein Mensch weiß, warum man in einem 16-Grad-airconditioned-kaltem Flieger sitzen muss.

 

 

 

 

Station 1

New York. Mit zwei Stunden Verspätung gelandet. Ein Rest Europa in der Bordverpflegung, bretonische Kekse, Sauvignon aus der Gascogne, Framboise-Dessert avec du Cognac. Reihe 11 gackert, schluchzt oder betet sich durch Turbulenzen über Neufundland und das Air-Kino, friert unter Decken gegen die Aircondition.

Border control. Wer zuerst aus dem Flieger kommt, hat Glück. 3-Minuten-Prozedur, das Längste der Dauerlauf durch die 180-Grad-Reihen. Hinter mir der französische Geschäftsmann aus dem Flieger von Marseille, Lächeln.

Laufgasse zur Passkontrolle. Neben den Fingerabdrücken werden auch die Pupillen eingescannt. (© Nina George)

Kurzer Adrenalinschub. Und jetzt?

Stand in line! Woher kommen Sie? Was wollen Sie in den USA? Wann fliegen Sie wieder zurück? Alle zehn Finger eingescannt, die Pupillen. Die Beamtin zeigt sich unbeeindruckt von meiner Antwort, meinen neuen Roman zu promoten. Wortloses Stempeln. Keine Handykontrolle. Something to declare? Sechs lederne Freundschaftsbändchen. Like these. Kein Blick. Weitergewunken.

 

 

 

Limousinenservice, bestellt von Penguin Random House. Fahrer Jean-Marcell spricht Französisch. Wer Präsident ist, ändert für seinen mühsamen Alltag nichts. (© Nina George)

27 Grad Hitze schlagen ins klimagefrorene Gesicht. Jean-Marcell wartet schon, der Fahrer spricht französisch. Erneuter Klimaschock im Grand Cherokee. Englisch-französische Konversation. Wie viele ihn nach Trump fragen, von den Touristen? Niemand, sagt er, du bist die erste. „Ich halte mich aus der Politik raus“, sagt Jean-Marcell. „Man muss Politiker sein, um die Politik zu verstehen. Jetzt ist er eben Präsident …“, er schweigt, zuckt die breiten Schultern. „… und in ein paar Jahren jemand anderer“, sage ich. „Ja“, für sein persönliches Überleben sei Washington nicht relevant. „Erzähl von deinem Buch“, sagt er, er gehe außerdem gerne Rumba tanzen. Und Salsa. Manhattan glänzt golden in der Abendsonne.

‪20:00 Uhr Ortszeit. Empire Hotel. Für mich ‪2:00 Uhr. Herumstreifen am Broadway, Lincoln Center, Rauchen nur außerhalb der Parkgelände, Essen im PJ Clarke’s, es ist wie überall auf der Welt: alleinreisende Frau wird mütterlich von den Kellnerinnen umsorgt, der 15-Dollar-Laphroig-Whisky ist dreistöckig. ‪22:30 Uhr wird es, um halb fünf morgens alter Zeit falle ich ins Bett, mit offenem Fenster und gezogenem Stecker der Aircondition. Ich schlafe in Portionen, tief und bewegungslos wie ein alter Stein.

Zum Frühstück Kirschen aus Washington. Die Saison läuft aus. Ein Pfund Kirschen: 5 Bucks. Ich teile sie mit zwei Obdachlosen, einem Paar, vor dem Central Park. Sie rauchen Shit. Heute sei Gay Pride. ABC übertrage seit 37 Jahren das erste Mal wieder.

„Jedes Jahr Trump wirft die USA um 10 Jahre zurück“, sagt er. Sie haben zum ersten Mal seit zwanzig Jahren gewählt, für Clinton. Er hat ein Schild an seinem Rucksack. „Fuck Trump! We are lost, need help.“ Um Melanias Wohnung würden ständig Müllwagen geparkt. Als Barriere. Das sei Trumps Idee. Wir reden eine halbe Stunde. Ich mag seine Totenkopfringe.

Bei den Obdachlosen Amerikas hat Trump keine Chance auf Sympathie. (© Nina George)

In drei Stunden geht es nach Madison und „RJ Julia“. Meine erste Lesetour in den USA beginnt, und noch weiß ich nicht, wie leuchtend und wie gleichzeitig zerstört die amerikanische Seele ist.

Weiter zu Teil 2

 

Autor: Nina George

Die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Nina George schreibt Romane, Sachbücher, Thriller, Reportagen, Kurzgeschichten sowie Kolumnen. Ihr Roman „Das Lavendelzimmer" stand 63 Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, wird in 35 Sprachen übersetzt und war u.a. New York Times Bestseller. Mit ihrem Ehemann, Schriftsteller Jo Kramer, schreibt sie unter „Jean Bagnol“ Provencethriller. Nina George ist Beirätin des PEN-Präsidiums und WWC-Beauftragte, Bundesvorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, sowie Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt. Sie lebt in Berlin und der Bretagne. 2017 wurde George als BücherFrau des Jahres ausgezeichnet. www.ninageorge.de

4 Kommentare

  1. Ich bin gespannt, wie es weitergeht und freue mich, hier nochmal nachlesen zu können. Passend zum Thema habe ich mir den Podcast eines Bekannten abonniert: http://www.americaonthefritz.com/

    Vielleicht kennt eine von Euch auch noch einen weiblichen Podcast dazu?

  2. Gefällt mir richtig gut! Poetisch und trocken! So schreibe ich auch Reiseberichte. (Ich liste dazu noch Ausgaben. Auch lustig, woran man sich erinnert, wenn man später liest, was man wann wo gekauft hat.)
    Bin gespannt! Lese selten Blogs, aber das interessiert mich! Man bekommt ja wenig von den Menschen auf der Strasse mit.

  3. Schön, man fühlt sich als sei man dabei.

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