Die BücherFrauen stellten sich mit der Podiumsdiskussion der „Herausforderung Strukturwandel – Bedrohung oder Chance für die Buchbranche? Wie wandeln sich Vertriebsstrukturen durch Selfpublishing, E-Books und verlagseigene Onlineshops?“. Die lebhafte Diskussion gleich zu Beginn der Leipziger Buchmesse war gut besucht – mit dem Jahresthema hatten wohl die BücherFrauen den Nerv der Branche getroffen.
Der Strukturwandel der Branche und das Unwort auf der Leipziger Buchmesse 2017
Selfpublisher en masse und das Unwort „Kundenfrequenz“, konkret die mangelhafte in den Buchhandlungen, verstärkten den Eindruck. Mögen die Massen an Selfpublishern noch dem Umstand geschuldet sein, dass sich alle zum Zeitpunkt der Messe in Leipzig getroffen haben, so ist die Zurückhaltung der Kunden beim Bücherkauf schon anhaltender. Wenn die Städte leergefegt sind, so trifft das auch den innerstädtischen Einzelhandel, insbesondere auch den Buchhandel. Die großen Warenhäuser (Karstadt, Kaufhof, KADEWE) kämpfen aktuell für eine erweiterte Sonntagsöffnung von 4 auf 10 Sonntage pro Jahr. Sie argumentieren, dass gerade am Sonntag vom heimischen Sofa aus online eingekauft wird und durch die bisherige Regelung der Einzelhandel extrem benachteiligt wäre.
Wenngleich möglicherweise die Aussage stimmt, dass insbesondere am Sonntag das Online-Geschäft brummt, so hinkt doch der Vergleich zur Wettbewerbsverzerrung. Inzwischen haben fast alle Unternehmen – selbst dm und Ikea, die bis letztes Jahr Zurückhaltung im Online-Geschäft pflegten – Online-Strategien und sind auf den diversen Online-Marktplätzen unterwegs. Die Frage stellt sich eher, warum die geneigte Konsumentin nicht auf deren Plattform geht und kauft, sondern eben woanders.
Machen die Füße und Finger der Smart Consumer unterschiedlich Halt?
In der Tat, wie der Blick auf einige Studien zeigt. Die Smart Consumer sind mit dem ständig paraten Smartphone unterwegs. Sie halten Kontakt zueinander, recherchieren Alltagshilfen, überbrücken lesend Wartezeiten und kaufen auch ein, während sie im Bus sitzen und zum Zielort fahren. Allerdings ist das Verhalten der Füße und der Finger nicht unbedingt gleich: Off- und online haben Smart Consumer durchaus verschiedene Shops im Visier (vgl. z. B. die „SAP Hybris ECC“-Studie).
In der Buchbranche dagegen gibt u. a. die Sinus-Studie „Buchkäufer. Buchleser 2015. Profile, Motive, Einstellungen.“ einige Hinweise, dass Kunden anders ticken:
- Kunden bevorzugen unterschiedliche Formate, um sich ein Thema zu erschließen: Neben der klassischen Form des Durcharbeitens analoger Bücher und Zeitschriften wird mehr und mehr die Google-Suche bevorzugt. Die Prioritätenfolge ist in den Milieus durchaus noch unterschiedlich. Allerdings hat mit der IP-Umstellung der Telefone auch WLAN in die meisten Wohnzimmer der älteren Generationen Einzug gehalten. Damit ist die Benutzung von Tablets selbstverständlicher geworden als der Griff zum Lexikon.
- Gern genutzt werden E-Books, auch wenn die Verkaufszahlen gerade stagnieren.
- Bücher haben in der breiten Masse nicht mehr den Wert des Behaltens und Bewahrens. Sie sind in vielen Milieus eher ein Produkt mit kurzer Verweildauer in den heimischen Räumen. Gerade in den sehr buchaffinen Milieus werden Bücher auch gern weitergegeben. Gebrauchtbücher sind salonfähig.
- Bildung ist nach wie vor ein starkes Thema bei vielen Milieus, allerdings in vielen Formaten. Auch die Hochschulen haben entsprechende Plattformen mit Text, Videos, Übungen usw.
- Es sind Massen an Büchern im Umlauf, die auf vielen Plattformen angeboten werden. Online und offline.
Ein paar Beispiele aus dem Alltag: In der Grundschule wird für die ersten Referate die Internetsuche empfohlen. Da mag die buchaffine Mama zwar mit den Augen rollen, aber die Lehrerin hat es nun mal gesagt. So bleibt als erzieherische Maßnahme nur noch die Änderung der Reihenfolge für die Recherche: 1. Bücher – 2. Zeitschriften – 3. Internet.
Bei diversen Kindergeburtstagen stöhnen jüngere Mütter „Bitte keine Bücher schenken, wir haben erst Massen aussortiert.“.
Das sogenannte frühere Bildungsbürgertum geht in Rente. Wohin mit den Büchern? Diese wandern in die – meist bereits auch schon übervollen – Haushalte der Kinder oder auf Plattformen wie z. B. www.momox.de oder in den Handel wie z. B. Oxfam Deutschland e. V. Bei Letzterem entsteht zumindest das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.
Fazit: In Kopf und Herzen der Kunden sind die Plätze begrenzt. Viele Marktteilnehmer buhlen um einen Platz. Es gibt viele Bücher, auf mehr Kanälen, als wir ahnen, in vielen Formaten und von noch mehr Autoren, mit einem begrenzten Haltbarkeitsdatum.
Und nun? Wie stellt sich der Buchhandel in Zukunft auf? Welche Geschäftsmodelle sind zukunftsfähig?
Eines wissen wir schon: Rezepte gibt es nicht!
Abhängig vom Umfeld, Standort und Wettbewerber gibt es durchaus viele Chancen. Wenn man diese wahrnimmt. In diesem Sinne zitiere ich gern meine Kollegin Gesa Oldekamp in Anlehnung an John Maynard Keynes: „Die größte Schwierigkeit der Welt besteht nicht darin, Leute zu bewegen, neue Ideen anzunehmen, sondern alte zu vergessen.“
Mir geht manches einfach zu langsam. Wenn ein Steuerberatungsbüro sich nachhaltig weigert, die papierlose Datenverarbeitung zu forcieren, dann ist es einfach der falsche Partner für ein Unternehmen 4.0. Wenn ich mit meinen Mitarbeitern über den Sinn von digitalen Angeboten und Services (E-Books, Facebook, Whatsapp …) diskutieren muss, dann ist das Unternehmen nicht zukunftsfähig aufgestellt. Wenn die Unternehmerin selbst diesen digitalen Machenschaften skeptisch gegenübersteht, dann ist sie entweder sehr konsequent in der analogen Welt und damit hoffentlich erfolgreich oder sie hat ein wirkliches betriebswirtschaftliches Problem.
Digital ist nicht alles. Aber die Kunden ticken halt inzwischen anders. Und wenn ich diese Kunden haben will, dann gilt es einiges dafür zu tun.
Die Zeit drängt und es ist spannend, diese Zeit des Umbruchs aktiv zu gestalten. Wo sind die Kunden unterwegs? Wie erreiche ich diese mit meinem Unternehmen? Wie werde ich noch mehr sichtbar für meine Kunden? Welche Prozesse können digitalisiert werden, für mehr Kundenbindung? Welche Angebote passen noch zu mir und meinen Kunden? Welchen Nutzen haben die Kunden von meinem Unternehmen?
Die Welt hat sich geändert. Einiges aus der alten Welt ist gut und kann genutzt werden. Allerdings nicht alles und vielleicht auch mit einer neuen Sichtweise. Das gilt es zu definieren:
- Wie wird das Unternehmen sichtbar für den Kunden in allen Belangen? Eindeutiges Positionieren mit allen Stärken, orientiert an den Bedürfnissen der Kunden.
- Wie können wir bzw. das Unternehmen punkten mit der kompetenten Beratung – off- und online? Wie kann diese Stärke besser kommuniziert werden?
- Wie schaffen wir den Dialog mit den Kunden auf allen Kanälen? Was muss dafür anders werden in den Prozessen? Wie schaffen wir uns mehr Zeit für diese Herausforderung? Welche Partner unterstützen uns und wie?
- Empfinde ich als Unternehmensgestalterin den Umbruch als Herausforderung oder als lästiges Übel? Wie ist mein Netzwerk aufgestellt? Sind die Einstellungen ähnlich und befruchten wir uns gegenseitig?
Das ist nur ein Auszug von vielen Fragen, und auch kleine Schritte führen zum Erfolg. Stehenbleiben ist auch eine Entscheidung, aber leider kommt man damit nicht vom Fleck. Und das wäre schade, denn dann kommt man nicht in den Genuss, mehr zu entdecken als das, was man schon kennt.
Und um die Ausgangsfrage zu beantworten: Ja, das Geschäftsmodell ist zukunftsfähig. Nur eben anders: Packen wir es an, schnüren den Rucksack neu, versehen diesen mit einer solaren Ladestation für unsere digitalen Geräte und laufen los. Ich freu mich drauf.
Eure
Ellen Braun
19. Juni 2017 um 14:21
Liebe Ellen,
Dein Elan ist ansteckend und mir gefällt, dass Du die Dinge beim Namen nennst – zum Beispiel den geänderten Wissenserwerb in den Schulen und die bereits bis zur Sättigung mit Büchern gefüllten bildungsbürgerlichen Haushalte ;-). Deine Ungeduld kann ich bestens verstehen! Viele von uns arbeiten mit ganz unterschiedlich aufgestellten Unternehmen und jonglieren zwischen abgestempeltem Papier und neuesten digitalen Kommunikationskanälen. Auf die neuen Wege! Mit ein paar ausgewählten Erinnerungsstücken im Gepäck :-).