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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

#lesbar im Juli – Übers Erzählen, Übersetzen und Veröffentlichen

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Der Juli war ein schwieriger Monat, geprägt von Ängsten und Verlusten im Land und in der Branche. Trotzdem haben wir wieder eine Auswahl von lesenswerten Netzartikeln für Euch zusammengestellt, die diesmal von starken weiblichen Stimmen beherrscht wird. So empfehlen wir Interviews mit der Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo und der Friedenspreis-Preisträgerin Carolin Emcke; außerdem ein Plädoyer zu mehr Mut beim Übersetzen und ein interessantes Gespräch über das digitale Lesen mit all seinen Vor- und Nachteilen. Abgerundet wird das neue #lesbar durch die Ergebnisse der aktuellen Selfpublishing-Umfrage sowie eine Kritik am Shopmodell von Buchhandel.de. Gern verweisen wir auch auf einen Artikel auf unserem eigenen Blog zur neuen Studie „Frauen in Kultur und Medien“, die – wenig überraschend – zum Ergebnis kommt, dass wir auch im Kulturbereich von Gleichberechtigung noch weit entfernt sind. Viel Spaß beim Lesen!

Der Ingeborg-Bachmann-Preis ging dieses Jahr an die in Berlin lebende britische Autorin Sharon Dodua Otoo. In der „Frankfurter Rundschau“ sprach sie über den Gewinnertext „Herr Gröttrup setzte sich hin“, über das Schreiben in zwei Sprachen, den Rassismus im deutschen Literaturbetrieb und ihre Erfahrungen als Aktivistin: „Es wurde oft von ‚dieser unbekannten Autorin‘ gesprochen, die keiner kannte. Und ich habe mich am Kopf gekratzt, weil ich glaube, viele Leute kannten mich durchaus – die saßen nur nicht in den Verlagen, die entscheiden, wer gedruckt wird. Ich hatte schon einmal die Chance, wahrgenommen zu werden, als ich von Dietmar Dath in der FAZ erwähnt wurde. Ich dachte, wow, jetzt geht’s los – und dann passierte erstaunlich wenig. Ich war nicht sicher, woran das lag. Aber ich habe gedacht, ich schreibe eh nicht für die Leute, die schon viele Angebote haben. Ich schreibe für Leute wie mich, die sich nicht ausreichend repräsentiert sehen in der Literatur, und ich schreibe für Leute, denen gegenüber ich Privilegien habe und mit denen ich mich solidarisch zeigen möchte.”

Wie bereits im letzten #lesbar erwähnt, wurde die Schriftstellerin und Journalistin Carolin Emcke dieses Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Das Gespräch, das Anna-Katharina Meßmer und Paula-Irene Villa mit ihr für die gedruckte Ausgabe der „feministischen studien“ führten, stammt zwar schon aus 2013/2014, ist nun aber auch online einsehbar und liefert interessante Einblicke in das Erzählen der Autorin: „Als Publizistin fühle ich mich verpflichtet, mit sprachlichen Mitteln jene ideologisch aufgeladenen Bilder und Begriffe, jene Assoziationsketten und Vorstellungen aufzubrechen, die Ressentiments gegenüber Frauen oder Homosexuellen, Gehörlosen oder Jüdinnen, Linkshändern oder Schalke-Fans transportieren. Und dazu gehört dann, dass wir normative Begriffe in Erfahrungen übersetzen, dass wir das, was uns wütend oder verzweifelt zurück lässt, verstehbar machen für diejenigen, die diese Erfahrungen nicht teilen.“

Übersetzerinnen und Übersetzer haben es nicht leicht – sie müssen nicht nur Brücken zwischen zwei Sprachen schlagen, sondern auch um Anerkennung und Sichtbarkeit im Literaturbetrieb kämpfen. Die Übersetzerin Hanna Ohlrogge schreibt über ihre Wünsche, Enttäuschungen und Erfahrungen in ihrem Beruf und spricht sich dafür aus, beim Übersetzen mehr zu wagen: „Die Frage also, die sich mir einschleicht: Ist es vermessen zu glauben, als Übersetzer hätte man so etwas wie ein Mitspracherecht? Einen eigenen Kopf, stur, der sich weigert, klein beizugeben? Der sein eigenes Ding macht, im Fall von Deutsch eben ein bisschen ruhrpottig und schnöde? Oder kann ich dieser verflixten Abhängigkeit, in die man sich als Übersetzer zwangsläufig begibt, hier und da die Stirn bieten? Nicht aus Trotz, sondern weil es so ist wie in jeder zwischenmenschlichen Beziehung? Die wachsen schließlich auch nicht, wenn der eine immer schrumpft und seine Persönlichkeit an der Tür abzugeben hat.“

Am 25. und 26. Juni fand in Berlin die Electric Bookfair 2016 statt. Zu diesem Anlass führten Schriftstellerin Elke Heinemann und Journalistin Sieglinde Geisel ein sehr persönliches Gespräch über den Fortschritt des digitalen Lesens und seine Rolle in ihrem Leben: „Auch ich lade manchmal Klassiker herunter, wenn ich etwas nachschauen will und das Buch nicht zur Hand habe. Aber ich war noch nie versucht weiterzulesen. Da ist der Bildschirm, die Software – ich fühle mich nicht als Partner des Romans. Beim Lesen journalistischer Texte geht es mir anders: Ich suche nicht nach einer Erfahrung, sondern ich will mich informieren. Wenn ich etwa auf Facebook auf einen tollen Artikel stoße, finde ich es großartig, dass ich ihn gleich an Ort und Stelle lesen kann. Aber wenn es um Nahrung für die Seele geht oder um etwas Avanciertes, das mich aus meiner eigenen Welt rausschmeißt, ist mir das Digitale zu – ja was denn genau? – zu ephemer, zu leichtgewichtig, zu schnell.“

Über 1000 Personen nahmen dieses Jahr an der Selfpublishing-Umfrage teil. Für die Selfpublisherbibel beantworteten sie Fragen zu ihrer Veröffentlichungspraxis, ihren Ausgaben und Einnahmen, ihren Erfahrungen mit verschiedenen Dienstleistern und vieles mehr – ein wichtiger Einblick in dieses wachsende Buchbranchensegment. Vier von fünf Auswertungsteilen sind bereits online, der letzte folgt zeitnah.

Das Shopangebot Buchhandel.de wurde vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels ins Leben gerufen, um Leserinnen und Leser bequem und digital mit dem stationären Buchhandel zu verbinden – so zumindest die Idee. Dass es an der Umsetzung hapert, zeigte sich bereits Ende Juni, als Spiegel Online ankündigte, die Kooperation mit der Plattform zu kündigen, weil nicht genug Verkäufe über die Verlinkung generiert wurden. Im Literaturcafé schreibt Wolfgang Tischer über die Mängel des Angebots aus Sicht von Kunden und Kundinnen.


Jeden Monat erscheinen im Netz so viele anregende und aufregende Texte, dass wir mit dem Lesen oft gar nicht mehr hinterherkommen. #lesbar sammelt diese Perlen und präsentiert sie jeden letzten Donnerstag im Monat auf dem BücherFrauen-Blog – handverlesene Lese- und Teilempfehlungen zu Themen, die BücherFrauen und andere buchbewegte Menschen interessieren.

Was findet Ihr #lesbar? Schickt uns Eure Artikelempfehlungen für den nächsten Monat!

Autor: Martha Wilhelm

Martha Wilhelm studierte Germanistik und Slavistik in Hamburg, absolvierte ein Verlagsvolontariat in Berlin und kehrte danach wieder an die Alster zurück. Hier machte sie sich selbstständig und arbeitet nun als Lektorin, Korrektorin und Autorin in den Bereichen illustriertes Sachbuch und Jugendbuch. Mehr Informationen gibt es auf ihrer Website (www.textwinkel.de). Sie freut sich über Austausch auf Facebook und Twitter.

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