Dank der Etablierung des Internets haben sich in den vergangenen Jahren Mediennutzungsverhalten und Konsumentenpräferenzen stark gewandelt. Die Verlagsbranche folgt diesem Trend mit digitalen Produktformen, wie dem E-Book, dem Enhanced E-Book oder interaktiven Apps. Eines vermögen diese Buchvarianten jedoch nur bedingt: die Vorzüge des klassischen Printbuches zu wahren. Das haptische Leseerlebnis geht verloren – ebenso die Möglichkeit, das Buch an Freunde zu verleihen, es zu verschenken oder es einfach als Zierde im eigenen Bücherregal zu präsentieren. Eine zukunftsweisende Technologie, die in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, bietet erstmals eine Möglichkeit, eine Brücke zwischen dem klassischen Printbuch und digitalen Inhalten zu schaffen: Augmented Reality. Ein Gastbeitrag von Katrin Schmidt, die sich im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Universität Siegen mit diesem Thema beschäftigt.
Unter dem Begriff „Augmented Reality“ (kurz: AR) (dt.: „erweiterte Realität“) werden Technologien zusammengefasst, die es erlauben, unsere Wahrnehmung der bestehenden Wirklichkeit mit virtuellen Objekten anzureichern. Im Gegensatz zur Virtual Reality, deren Zielgedanke es ist, den Nutzer in eine computergenerierte, interaktive Welt eintauchen zu lassen, zielt Augmented Reality vielmehr darauf ab, die Realität mit virtuellen Zusatzinformationen anzureichen, um sie zu funktionalisieren und zu optimieren.
Klassische Einsatzgebiete: Militär, Industrie und Medizin
Bislang war Augmented Reality den klassischen Einsatzszenarien, wie Militär, Industrie und Medizin, vorbehalten. Dank der Weiterentwicklung und Verbreitung mobiler Endgeräte, wie Smartphones und Tablets, ist die Technologie, deren Anfänge bis in die 1960er-Jahre zurückreichen, mittlerweile auch im alltäglichen Gebrauch angelangt. Maßgeblich zur generellen Bekanntheit hat mit Sicherheit die AR-Spiele-App Pokémon Go beigetragen, jedoch sind die Anwendungsfelder viel weiter verbreitet, als der Einzelne vermuten mag. Es lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, wie uns die Technologie inzwischen im Alltag begleitet: Von der Brillen- bzw. Make-up-Anprobe in Onlineshops über die Einblendung virtueller Linien bei der TV-Sportberichterstattung und mit AR-Anwendungen angereicherte Außenwerbung, wie z. B. die des TV-Senders Syfy, bis hin zur Face Recognition bei Snapchat.
Und auch der sogenannte Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies, der sich alljährlich mit der Frage beschäftigt, welche Technologien in den kommenden Jahren wegweisend sein werden, prognostiziert, dass AR in den nächsten fünf bis zehn Jahren sowohl im privaten wie auch im unternehmerischen Bereich regulär im Einsatz sein wird.
Technologische Funktionsmechanismen
Die Umsetzung der Erweiterten Realität basiert dabei primär auf zwei technologischen Verfahrensprinzipien: Tracking und Rendering. Im Rahmen des Trackings wird das jeweilige Objekt, das erweitert werden soll, durch spezielle AR-Marker identifiziert und seine Position und Orientierung im Raum bestimmt und verfolgt. Anschließend sorgt das sogenannte Rendering dafür, dass das jeweilige virtuelle Objekt im Bezug zur Realität perspektivisch korrekt im Sichtfeld des Anwenders eingeblendet wird.
Die Erweiterung des physischen Buches
Erste Bestrebungen der deutschen Buchbranche, die Technologie nutzbar zu machen, beginnen im Jahr 2014. Als erster deutscher Buchverlag veröffentlicht der Kosmos Verlag eine dreiteilige Kindersachbuchreihe, die durch den Einsatz von Augmented Reality erweitert wird: Betrachtet man die jeweiligen Buchseiten mit der dazugehörigen AR-App, werden Dinosaurier zum Leben erweckt oder die verheerenden Auswirkungen von verschiedenen Erdbebenstärken multimedial veranschaulicht.

Augmented Reality im Ratgeberbereich mithilfe einer App. Foto: Schmidt.
Im gleichen Jahr zieht Gräfe und Unzer nach und veröffentlicht eine Kochbuchreihe, die durch eine dazugehörige Augmented-Reality-App ergänzt wird. Scannt man eine Buchseite eines Titels aus der Buchreihe GU Küchenratgeber mit der dazugehörigen GU Kochen Plus-App, wird das jeweilige Rezept in der App aufgerufen und es besteht beispielsweise die Möglichkeit, Rezepte abzuspeichern, Einkaufslisten zu erstellen oder unter Nutzung von Social-Sharing-Funktionen Rezepte mit Freunden zu teilen.
Ende 2015 entdeckte auch der Kinderbuchverlag Oetinger das Thema Augmented Reality für sich und rief in Kooperation mit anderen Verlagen die Kinderbuchinitative SuperBuch ins Leben. Hier wurden bislang 17 Backlist-Titel durch den Einsatz von Augmented Reality aufgewertet. Ein Beispiel ist der Titel Findus zieht um von Sven Nordqvist: Betrachtet man die Buchseiten mit der entsprechenden TigerBooks-App, werden die physischen Buchseiten durch virtuelle Inhalte erweitert und es lassen sich verschiedene multimediale bzw. interaktive Formen der Anreicherung entdecken, wie z. B. bewegliche Charaktere, Gaming-Elemente, Soundeffekte und eine Vorlesefunktion.
Neue Chancen für Verlage
Solche „Augmented Books“, wie sie im wissenschaftlichen Kontext auch bezeichnet werden, stellen eine innovative Produktform dar, die dem Trend des sich wandelnden Mediennutzungsverhaltens entgegenkommt.
Im Gegensatz zu anderen digitalen Buchvarianten, wie dem E-Book, schließen sie den stationären Buchhandel als Distributionskanal nicht aus und bieten zugleich vielfältige Möglichkeiten den Angebotscharakter des physischen Buches durch die Vorzüge digitaler Medientechnologie – wie insbesondere Multimedialität und Interaktivität – zu erweitern. Erstmals wird es dadurch auch möglich, anhand der AR-App die Buchnutzung des Lesers nachzuvollziehen und gegebenenfalls Rückschlüsse daraus abzuleiten.

Augmented Reality im Kindersachbuch bei Carlsen. Foto: Schmidt.
Blick in die Zukunft
Auch wenn bislang nur eine überschaubare Anzahl an Verlagen mit der neuen Technologie experimentiert, haben sich bereits drei zentrale Anwendungsszenarien herausgebildet, in denen Augmented Reality momentan verstärkt eingesetzt wird: Kinder(sach)buch, Ratgeber und Schule & Lernen.
Sicherlich macht nicht jedes Anwendungsszenario Sinn, und auch die Hürden der technischen Umsetzung sowie die Kosten der Realisation sind nicht zu unterschätzen. Nichtsdestotrotz bietet Augmented Reality eine innovative Möglichkeit, eine Brücke zwischen Print und Digital zu schlagen. Dementsprechend gilt es weiterhin auszuprobieren und geeignete Nutzungsszenarien und -möglichkeiten ausfindig zu machen, um kreative und zukunftsweisende Wege zu finden, einen Mehrwert und ein einzigartiges Leseerlebnis für die Nutzenden zu schaffen.
Der Titel von Katrin Schmidts Masterarbeit lautet: „Augmented Books: Potenziale, Anwendungsszenarien und Herausforderungen des Einsatzes von Augmented Reality im Kontext der Verlagsbranche“ und erscheint im Rahmen des Masterstudiengangs „Medien und Gesellschaft“ im Fachbereich Medienwissenschaft der Universität Siegen. Die Abgabe erfolgt am 31. Oktober 2017.
3. August 2017 um 01:12
Liebe Katrin, Deine Erklärung dieses neuen kreativen Trends gefällt mir sehr. Denn ich hatte ihn noch gar nicht bemerkt, obwohl ich gerade im Kundenauftrag ein erstes E-Book gestalte.
Ich halte aufgrund Deiner Beschreibung AR für ungemein wichtig für den von Dir erwähnten Brückenschlag zwischen Print und Digital.
14. August 2017 um 11:33
Der Beitrag macht mich neugierig auf mehr Details zum Thema AR, etwa was den stationären Buchhandel als Distributionskanal betrifft. Viel Erfolg weiterhin bei der Arbeit!