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Verboten und verbrannt – Autorinnen und die Bücherverbrennungen: Alice Berend

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Vor 90 Jahren – am 10. Mai 1933 – fanden die öffentlichen Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten unter dem Motto „Aktion wider den undeutschen Geist“ statt. Diese waren weitgehend organisiert von der Deutschen Studentenschaft, unzählige Bücher wurden dabei verbrannt, die als „zersetzende Schriften“ angesehen wurden. Für etliche SchriftstellerInnen bedeutete dies zum einen das Ende ihrer Karriere und zum anderen, dass viele von ihnen ins Exil gehen mussten – und zwar unabhängig davon, ob sie auf einer Liste standen, wie sich beispielsweise an Gabriele Tergit zeigt.

Die sogenannte “Schwarze Liste” war von dem Berliner Bibliothekar Wolfgang Hermann erstellt worden, der bereits früher für die „nationale Wehrhaftmachung“ der deutschen Literatur geworben hatte. 1932 hatte er ein erstes Auswahlverzeichnis für Volksbüchereien veröffentlicht. Die Liste von 1933 war nun eine vorläufige Übersicht jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer „zersetzender Schriften“. Auf dieser wurden Bücher aufgeführt, die aus Buchhandlungen und Bibliotheken entfernt werden sollten. Die Liste war allerdings erst der Anfang der systematischen Vernichtung dieser Werke, denn sie wurde im Laufe der nächsten Jahre von den Nationalsozialisten laufend ergänzt, sodass die Zahl der verbotenen Bücher und AutorInnen ständig stieg.

Verbrannt wurden aber auch Bücher von AutorInnen, die zu dieser Zeit noch nicht auf der Liste standen, so gab es auch regionale Unterschiede. Es wurden Werke von PhilosophInnen, WissenschaftlerInnen, LyrikerInnen, Romanciers und politischen AutorInnen in die Flammen geworfen.

Die 1875 in Berlin als Tochter einer jüdischen Fabrikantenfamilie geborene Schriftstellerin Alice Berend, die allerdings bereits evangelisch getauft wurde – ihre jüngere Schwester war die bekannte Malerin Charlotte Berend –, war Anfang der 1930er Jahre eine angesehene Schriftstellerin. Ab 1898 hatte Berend erste Zeitungsbeiträge wie zum Beispiel im Berliner Tageblatt veröffentlicht und schrieb Texte für Berliner Theaterbühnen, ihr erstes Buch folgte 1901.

Neuauflage des Romans “Die Bräutigame der Babette Bomberling” 2012 im AvivA Verlag.

Ihre Romane, die im renommierten S. Fischer Verlag erschienen, hatten zwischen 1900 und 1933 enorme Auflagen, „sie war wer“, wie Peter Härtling in seinem Nachwort zur Neuauflage ihres Romans Spreemann & Co. schrieb. Sie schrieb größtenteils über das Berliner Kleinbürgertum, die Romane sind von großem Detailreichtum und Humor geprägt. Wie Peter Härtling anmerkt: „Denn schreiben konnte diese Frau. Hier gibt es keine Stilblüten, keine durch Sentimentalität aufgeweichten Sätze, keine falsche Gemütlichkeit. Die Sprache ist knapp, bleibt bei der Sache, der Person. Sie charakterisiert unmißverständlich und anschaulich.“ Ihr Roman Die Bräutigame der Babette Bomberling von 1915 erzielte nicht nur eine enorme Auflage, sondern wurde 1927 auch verfilmt. Die Autorin, die auch zahlreiche Kinderbücher verfasste, galt als „weiblicher Fontane“.

Erst 1924 zog sie mit ihrem zweiten Ehemann nach Jahren in Italien und in Konstanz wieder zurück nach Berlin, wo sie ab 1931 einen kleinen Salon in ihrem neuen Haus im Stadtteil Zehlendorf führte, zu dem unter anderem die Schriftstellerinnen Elisabeth Langgässer, Ilse Langner und ihre langjährige Freundin Elisabeth Castonier gehörten.

Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten fand noch die Premiere des Films Ich will Dich Liebe lehren statt, zu dem sie das Drehbuch verfasst hatte, das auf ihrem 1930 erschienenen Roman Herr Fünf beruhte.

Alice Berend: Die Geschichte der Arche Noah. Mit farbigen Bildern von E. B. Smith. Berlin, D. Reimer, 1925.

Aber schon bald sollten ihre sämtlichen Schriften verboten werden – auch wenn ihr Name  auf der Schwarzen Liste falsch geschrieben wurde (Behrend). Bereits vorher wurde deutlich, dass sie nichts mehr veröffentlichen konnte. Nach dem Ausfüllen eines Fragebogens des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, der Rechtsschutz gegen staatliche Eingriffe in das Literaturschaffen gewähren sollte – bevor dieser der Reichskulturkammer unterstellt wurde –, bekam sie eine Mitgliedskarte, die mit der Nummer 45 begann. Wie ihre Freundin Elisabeth Castonier rückblickend schreibt: „Daß Mitglieder, die bereits die erhöhten Beiträge gezahlt hatten und deren Nummer mit 45 begann, als Verbotene auf Listen gesetzt waren, erfuhr ich erst später, als Redaktionen die Angabe meiner Mitgliedsnummer forderten und meine Arbeiten abgelehnt wurden. Ich ahnte ebensowenig wie Martha von Zobeltitz, Alice Berend, Julia Koppel und andere 45er, daß wir unseren Berufstod mit dem erhöhten Beitrag selbst bezahlt hatten.“

1935 verließ Alice Berend Berlin und zog mit ihrer Tochter nach Italien. Nur noch zwei Bücher konnte sie im Ausland veröffentlichen, eins in der Schweiz und eins in Tschechien.

Wie sich Elisabeth Castonier erinnern sollte, hatte Alice Berend in Florenz 1938 selbst kein Geld mehr für einen Arzt und starb „sehr arm, krank und vergessen“.

Aufgrund der Neuauflagen ihrer Werke, die seit 1998 erschienen, wurde inzwischen eine Straße in Berlin nach ihr benannt.

Wie Sylvia Asmus, die Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt, in dem gerade erschienenen Buch Verbrannte Orte. Nationalsozialistische Bücherverbrennungen in Deutschland schreibt: „Ob im Exil veröffentlicht oder später, für alle gilt: Sie bleiben, wenn wir sie lesen.“ Dies gilt auch für die Autorinnen, deren Werke bereits vor der NS-Zeit veröffentlicht wurden und aus der Literaturgeschichte herausgeschrieben wurden.

 

 

Verboten und verbrannt

https://blog.buecherfrauen.de/verboten-und-verbrannt/

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Porträts von Exilantinnen

 

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

6 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag, liebe Doris. Er ist so wichtig!
    Auch wenn er mich einerseits tieftraurig macht, stimmt er mich andererseits dennoch froh, weil er verdeutlicht, dass es an jeder/m liegt, etwas gegen das Vergessen zu tun.

  2. Wieder eine Lücke geschlossen, denn ich muss gestehen, ich kannte sie bislang nicht. Das hole ich jetzt nach. Danke Doris!

  3. Bei der Vorstellung des AvivA-Verlags hat Britta Jürgs aus den Bräutigamen gelesen, ich bin schon auf den Rest des Buchs gespannt. Der Lebenslauf dieser interessanten Autorin sollte den ein wenig kargen Artikel in der Wikipedia ergänzen, es wäre toll, wenn wir da mal was planen könnten. Allgemein bezüglich vergessener Autorinnen. Und auch nicht sofort, aber vielleicht in einer Wikipedia-Autorinnen-Aktionswoche. Vielleicht sind Frauen von https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WomenEdit interessiert?

  4. Ich bin Alice Berend bei meiner Arbeit über Hedwig Mauthner begegnet. Eine Frau und Schriftstellerin – die war wie ihr Werk: frisch und unverstellt. Deren Bücher gewaltige Auflagen hatten. 20 – 30 Auflagen und somit vielgelesen.
    Vielleicht ist zu korrigieren
    “Ihre Romane, die im renommierten S. Fischer Verlag erschienen, …”,
    denn fast alle ihre Romane erschienen im Albert Langen Verlag in München.
    Danke für das Erinnern an diese bemerkenswerte Frau.

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