Das Jahr neigt sich dem Ende zu, aber zwei Interviews stehen noch an. Diesmal erzählt Petya Lund vom eta Verlag, einem Verlag für zeitgenössische Literatur aus Südosteuropa. Und auch dort gibt es wieder mehrsprachige Bücher.
Doris Hermanns: Petya, du bist Verlegerin des eta Verlags. Seit wann gibt es ihn und was für ein Verlag ist das? Was macht ihr für Bücher?
Petya Lund: Den Verlag gibt es seit 2016, die ersten Bücher wurden 2017 veröffentlicht. Wir sind ein kleiner, unabhängiger Verlag für zeitgenössische Literatur aus Südosteuropa. Bislang haben wir Autor*innen aus Bulgarien, Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina und ganz neu und sehr exotisch im Frühjahr 2022 auch Montenegro, worüber ich mich sehr freue. Wir bemühen uns nach Möglichkeit, weitere Länder und Sprachen anzuknüpfen. Unsere Bücher sind thematisch sehr unterschiedlich, z. B. verlegen wir wunderschöne zweisprachige Lyrikbände, die nicht nur sprachlich, sondern auch visuell übersetzt werden. Wir veröffentlichen Romane, Kurzgeschichtensammlungen und haben mit Lupo und Tumba von Petya Kodudeva (Übersetzung: Petya und Leon Lund) auch ein Kinderbuch im Programm. Der rote Faden in all unseren Titeln ist, dass wir nur aktuelle Autor*innen auswählen, die in deren Ländern anerkannt und mehrfach preisgekrönt sind.
DH: Wie kam es, dass ihr erst Übersetzungen von bulgarischer Literatur veröffentlicht habt und dann auch Bücher aus dem Balkan?
PL: Ich komme aus Bulgarien und habe während des Studiums in Köln angefangen zu übersetzen. Ich wollte unbedingt wichtige Texte aus dem Bulgarischen ins Deutsche übertragen. Das war damals mein Ziel. Später habe ich bei der Buchmesse in Leipzig als Dolmetscherin für Autor*innen aus Bulgarien gearbeitet und dabei festgestellt, dass sie sehr selten ins Deutsche übersetzt und verlegt werden. Schnell merkte ich dann, dass auch für die Nachbarländer die Sichtbarkeit auf dem Büchermarkt in Deutschland nicht besonders gut ist und dachte mir, dass es besser wäre, wenn es um die ganze Region geht und nicht nur um ein einziges Land. Zusammenhalt ist an sich in der Region eine schwierige Angelegenheit; also vielleicht ein Zeichen setzen, dass es nur gemeinsam geht.
DH: Wie viele seid ihr im Verlag? Gibt es Festangestellte und/oder Honorarkräfte, zum Beispiel für das Lektorat oder Übersetzungen?
PL: Ich bin im Verlag allein, Festangestellte kann ich mir nicht leisten. Honorarkräfte gibt es zum Glück einige – Übersetzer*innen, Lektor*innen, Gestalter*innen und einige mehr, deren Arbeit essenziell für den Verlag ist. Die Übersetzer*innen wären hier ganz besonders zu ehren, denn sie sind diejenigen, die mehrere Rollen spielen. Sie suchen die Texte und fertigen Probeübersetzungen an. Danach besprechen wir die Vorschläge und entscheiden, ob wir ein Buch machen wollen oder nicht. Wenn das Buch da ist, helfen sie in der Regel auch im Verkauf mit und noch vieles mehr. Sie sind die wahren Held*innen.
DH: Ihr seid vier Frauen im Verlag. Ist das Zufall oder Absicht?
PL: Wir sind eigentlich mehr als vier, nur nicht alle direkt auf unserer Seite zu finden. Einige sind Übersetzerinnen und auch dort aufgelistet. Es stimmt schon, dass wir nur wenige Männer im Team haben, dafür aber sehr viele männliche Autoren. Diese Tatsache wollen wir aber alle gemeinsam verändern und vor allem auch die Ungerechtigkeit, dass auf dem Balkan deutlich weniger Frauen verlegt werden als Männer. Übersetzt werden kaum welche und das muss umgedreht werden.
DH: Gibt es Schwerpunkte oder Reihen im Verlag?
PL: Ja, es gibt sowohl Schwerpunkte als auch Reihen. Unser Schwerpunkt ist zeitgenössische Literatur aus Südosteuropa. Wir haben eine Reihe Lyrik, die gerade wieder um einen Lyrikband gewachsen ist. Die Prosabücher sind auch als Reihe identifizierbar, da ist das Design einheitlich und klar als Teil der Reihe erkennbar.
DH: Deine Erfahrung war, so steht auf eurer Website zu lesen, dass Südosteuropa hierzulande noch immer fern und unbekannt ist. Hast du den Eindruck, dass sich das in den letzten Jahren ändert? Wie groß ist die Offenheit im deutschsprachigen Raum? Wie werden eure Bücher angenommen?
PL: Bevor ich den Verlag gegründet habe, hatte ich oft das Gefühl, dass viele Menschen in Deutschland noch nicht mal die Namen der Hauptstädte der Balkanländer wissen, von Sprache und Kultur ganz zu schweigen. Mittlerweile habe ich beruflich mit vielen Menschen zu tun, die sich in der Region auskennen. Ich persönlich bin der Meinung, dass die ehemaligen Ostdeutschen deutlich mehr Kenntnisse und Interesse für Osteuropa haben als die ehemaligen Westdeutschen. All das hat viele Gründe und eine lange Geschichte. Ich hoffe, dass unsere Arbeit dazu beiträgt, Ost- und Westeuropa aneinander näherzubringen.
DH: Wie unterscheidet sich dein Verlag als einer der unabhängigen von den Konzernverlagen? Warum sind die Indie-Verlage für dich wichtig?
PL: Ganz einfach: Wir haben weder die Finanzen noch die Sicherheit eines Konzerns. Wir riskieren viel, tun es aus Leidenschaft und nicht aus kommerziellen Gründen. Wir stellen die Bücher nicht nach Keywords zusammen, sondern greifen Themen auf, die für uns wichtig und schwierig sind, mit dem Ziel, eine Diskussion anzufangen und einen Impuls zu geben für diverse gesellschaftliche und historische Themen und Traumata. Was geschah in diesem Kontinent in den letzten Jahren, was passiert gerade und was macht das alles mit uns? Das betrifft den Kommunismus und seine Anfangszeit, den kalten Krieg, den Zerfall Jugoslawiens und die Folgen davon bis hin zu den postkommunistischen Gesellschaften auf dem Balkan und dem Umgang mit Minderheiten, mit Menschen, die sexuell oder sonst wie anders als die Mehrheit sind. All das sind sehr wunde Punkte, die wir unbedingt ansprechen müssen. Die Resonanz der Bücher spiegelt sich zurück in den Ländern und es bewegt einiges. Das ist das Wichtigste, was wir tun.
DH: Wie sieht euer Programm aktuell aus? Was hat sich im Laufe der Jahre geändert? Was zeichnet es aus?
PL: Aktuell in diesem Herbst haben wir zwei ziemlich mutige Titel herausgebracht: einen autobiografischen Roman Körper-Kintsugi über die Brustkrebserkrankung der Autorin Senka Maric aus Bosnien, übersetzt von Marie Alpermann und ein bibliophiles Juwel aus Bulgarien. Und den zweisprachigen Lyrikband Der verpasste Moment der bulgarischen Autorin Yordanka Beleva, übersetzt von Henrike Schmidt und Silvia Vassileva mit Illustrationen von der Hamburgerin Gaby Bergmann.
Verändert hat sich auf jeden Fall die Zahl der vertretenen Länder und Sprachen, das Team ist spürbar gewachsen, das Design der Bücher ist reifer und konsequenter geworden. Geblieben ist der sehr hohe Anspruch an die Qualität sowohl für die Texte als auch für die Bücher als Druckprodukt. Diese Kompromisslosigkeit für die Qualität hat sich ausgezahlt. Die Bücher sind als Verlagsprodukte klar erkennbar, die Marke etabliert sich, würden Marketingmenschen sagen.
DH: Was sind die Kriterien, nach denen ihr entscheidet, ob ihr ein Buch macht? Wie kommen die Bücher zu euch?
PL: Die Liste der Bücher, die wir machen wollen, ist lang. Dadurch, dass wir nur vier Titel pro Jahr verlegen, bildet sich eine wachsende Schlange. Generell muss das Thema interessant sein und der Text muss überzeugen. Ansonsten hängt es davon ab, ob es um ein Projekt geht, das von Anfang an konzipiert ist, wie die Übersetzungsfinanzierungen der Europäischen Kommission. Wenn es um eine Reihe geht, die als solche zusammen veröffentlicht wird, suchen wir nach Titeln, die zum Thema passen. Das bedarf durchaus längerer Gespräche und Überlegungen. Die Übersetzer*innen schlagen mir Titel vor und stellen den Kontakt zu den Autor*innen her. Es müssen in der Regel Werke sein, die noch nie ins Deutsche übersetzt worden sind – was ehrlicherweise selten ein Problem ist.
Wenn es sich nicht um Reihen handelt, suchen wir nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten wie zum Bespiel bei den Kultusministerien der Länder und stellen Anträge.
DH: Gibt es ein Vetorecht bei euch, wenn eine oder einer ein Buch nicht machen möchte, wenn andere es wollen?
PL: Theoretisch schon. Es ist aber ziemlich unwahrscheinlich, dass so eine Situation auftritt, da wir (die Übersetzer*innen und ich) die Bücher gemeinsam aussuchen.
DH: Wie wichtig ist Feminismus für dich im Verlag?
PL: Feminismus ist genau wie alle anderen Bewegungen gegen Ungerechtigkeiten sehr wichtig und ein Thema, das ich mehr und mehr auch als Verlagsthema sehe. Unser nächster EU-Förderantrag ist ein feministisches Projekt. Es geht um die Stimmen von sechs Autorinnen aus fünf südosteuropäischen Ländern. Selbst wenn der Antrag nicht bewilligt wird, werden wir einige der Autorinnen auf jeden Fall übersetzen und verlegen. Es sind wichtige Bücher, die unbedingt in eine Sprache mit größerer Reichweite übersetzt werden müssen. Gerade in Gesellschaften, die etwas rückständiger, konservativer und noch sehr patriarchal sind, ist es wichtig, die Menschen, die sich trauen, die Stimme zu erheben, zu unterstützen. Damit meine ich, dass Frauen und Minderheiten in den osteuropäischen Ländern es schwerer haben, gegen die lokalen Normen zu agieren und frei zu leben.
DH: Was war für dich dein wichtigstes Buch im Verlag? Und warum? Welches hat sich am besten verkauft?
PL: Das wichtigste Buch bisher war der Roman Die Sanftmütigen von dem bulgarischen Autor Angel Igov. Das Buch wurde von Andreas Tretner ins Deutsche übertragen und war für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung nominiert. Das war sehr kurz vor der Pandemie, als die Messe abgesagt wurde. Ganz kurz danach wurde das Buch für den HKW-Preis nominiert und gewann ihn tatsächlich auch. 2020 hatte das HKW entschieden, den Preis unter den fünf Finalisten aus der Shortlist zu teilen. Somit hat dieses Buch den Preis 2020 gewonnen und ist bis heute auch das meistverkaufte Buch im Verlag.
DH: Welches Buch hättest du gerne gemacht? Das kann ein existierendes sein oder eins, das du zu einer bestimmten Zeit gerne gemacht hättest, was aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht ging.
PL: Ich bin seit Jahren auf der Suche nach einer Dichterin, die mich in meiner Jugend stark beeinflusst hat. Sie ist aber irgendwann in die USA emigriert und hat mit den Literaturkreisen in Bulgarien jede Verbindung abgebrochen. Ich habe schon viele Leute nach ihr gefragt, habe bislang aber weder eine Mail noch irgendeinen Social-Media-Account gefunden. Ihr Name ist wohl heute anders als damals, sie hat zwischenzeitlich geheiratet. Ihre Gedichte möchte ich sehr gerne veröffentlichen. Der Name, den ich von ihr kenne, ist Ina Grigorova.
DH: Was würdest du dir für die Zukunft wünschen? Für euren Verlag? Für unabhängige Verlage insgesamt?
PL: Für die Zukunft wünsche ich für meinen Verlag und für all die anderen unabhängigen Verlage mehr Sichtbarkeit in den Buchhandlungen. Für mich ist es immer noch die größte Hürde, meine Bücher in Buchhandlungen zu platzieren. Außerdem wünsche ich uns allen, dass die Pandemie bald vorbei ist und die Buchmessen so sein können, wie sie früher mal waren. Und natürlich viele treue und neugierige Leser*innen!
Alle Fotos: Verlags-Archiv
Das Jahresthema der BücherFrauen ist 2021 „Unabhängige Verlage“. Dazu wird es monatlich ein Interview mit einer Verlegerin eines Indie-Verlags geben:
Januar: Ulrike Helmer vom Ulrike Helmer Verlag
Februar: Britta Jürgs vom AvivA Verlag
März: Kristine Listau vom Verbrecher Verlag
April: Silke Weniger von der edition fünf
Mai: Andrea Krug vom Verlag Krug & Schadenberg
Juni: Barbara Weidle vom Weidle Verlag
Juli: Renate Klein und Susan Hawthorne von Spinifex Press
August: Zoë Beck vom CulturBooks Verlag
September: Ursula I. Meyer vom ein-FACH-verlag